Weser Report: Herr Bovenschulte, die Beschäftigten müssen, wo immer möglich, zu Hause arbeiten, dürfen aber abends zum Glühweinstand. Wie passt das zusammen: Home-Office-Pflicht und Weihnachtsmarkt?
Andreas Bovenschulte: Ich sehe da keinen Widerspruch: Der Weihnachtsmarkt findet draußen statt, die Besucher müssen eine Maske tragen und wer dort etwas essen und trinken möchte, muss nachweisen, dass er genesen oder geimpft ist. Alle anderen bekommen selbst mit einem negativen Corona-Test weder eine Wurst noch einen Glühwein. Wir sind dort fast strenger als bei Veranstaltungen in geschlossenen Räumen. Und wenn die Zahlen steigen, werden wir selbst diese strengen Regeln nochmal verschärfen.
Eine Schließung des Weihnachtsmarktes?
Ausschließen können wir in der Pandemie nichts, das haben wir mittlerweile alle gelernt. Aber aktuell sehe ich für eine Schließung keine Grundlage. Wie sollen wir begründen, dass Geimpfte und Genesene nicht einmal an der frischen Luft und mit Maske über einen Markt schlendern dürfen?
Bayern hat alle Weihnachtsmärkte abgesagt.
Dort ist die 7-Tage-Inzidenz aber auch mehr als dreimal so hoch wie in Bremen und die Impfquote deutlich niedriger. Ich glaube nicht, dass die bayerische Corona-Politik für uns als Vorbild taugt.
Wie lange können die Schulen in Bremen noch geöffnet bleiben?
Die Bremer Linie ist da völlig eindeutig: Wir wollen weder Schulen noch Kindertagesstätten schließen, denn unsere Kinder haben unter der Pandemie schon genug gelitten. Was wir brauchen ist eine konsequente Anwendung der 3G-Regel am Arbeitsplatz und der 2G-Regel im Freizeitbereich: Wer nicht geimpft oder genesen ist, darf nicht ins Restaurant, nicht in die Kneipe, nicht ins Museum und nicht ins Weserstadion. Das kommt einem recht weitgehenden Lockdown für Ungeimpfte gleich, mit dem Ziel die Ausbreitung des Virus so gut wie möglich zu verhindern.
Bei uns ist der Lockdown für Ungeimpfte nicht so weitgehend wie in Österreich.
Das stimmt. Dass wir Ungeimpfte in ihren Wohnungen einsperren, das wird es in Bremen auch nicht geben, jedenfalls nicht solange ich da etwas mit zu entscheiden habe.
Spanien etwa hatte 2020 und in einigen Regionen auch 2021 Ausgangssperren verhängt. Jetzt steht das Land besser da als Deutschland.
Spanien steht besser da, weil es eine wesentlich höhere Impfquote hat als Deutschland. In Spanien sind fast 80 Prozent der Menschen vollständig geimpft, fast so viele wie in Bremen. Deutschland hat nur eine Quote von 68 Prozent. Ich bleibe dabei: Mit mir wird es keine Ausgangssperre geben. Außer ich werde durch Bundesrecht dazu gezwungen.
In Bremen sind die Menschen impfwilliger als anderswo, aber es gibt nicht genug Impfkapazitäten. Vor einigen Tagen mussten Leute, die vor einem Impfmobil anstanden, wieder ungeimpft nach Hause gehen.
Ja, da müssen wir noch besser werden. Auch deshalb nehmen wir am kommenden Freitag unser neues Impfzentrum am Brill in Betrieb, mit 36 Impfstraßen und einer Kapazität von mehr als 5.000 Impfungen am Tag. Einige sprechen angesichts der imposanten Räumlichkeiten schon scherzhaft von einem Impfpalast.
Warum ging die Initiative dazu von Unternehmern aus und nicht vom Senat?
Das neue Impfzentrum ist wie das alte eine gemeinsame Initiative von Unternehmern, Hilfsorganisationen, Politik und Verwaltung.
Für Beschäftigte in Kliniken, Alten- und Pflegeheimen ist eine Impfpflicht geplant. Müssen weitere Berufsgruppen dazukommen?
Ich fände es im Ergebnis sinnvoll, die vom letzten Bund-Länder-Treffen beschlossene einrichtungsbezogene Impfpflicht auch auf Erzieherinnen und Erzieher sowie auf Lehrerinnen und Lehrer auszudehnen.
Warum keinen Vorstoß aus Bremen für eine allgemeine Impfpflicht?
Wir haben dazu eine intensive Debatte mit unterschiedlichen Auffassungen. Ich persönlich kann mir eine allgemeine Impfpflicht mit Blick auf die dramatische bundesweite Lage durchaus vorstellen. Es hängt aber sehr von der konkreten Ausgestaltung ab. Eine Impfpflicht für Kinder und Jugendliche zum Beispiel käme für mich nicht infrage. Und für Erwachsene müsste es ebenfalls Ausnahmen geben, nicht nur aus medizinischen Gründen, sondern auch aus grundrechtlich geschützten Gewissensgründen, etwa aus religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen. Außerdem wäre zunächst zu klären, wie man eine allgemeine Impfpflicht überhaupt praktisch umsetzen könnte. Derzeit wissen wir ja nicht einmal genau, wer schon geimpft ist und wer nicht, da es kein allgemeines Impfregister gibt.
Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat den Impfstoff von Biontech/Pfizer jetzt auch für Kinder ab fünf Jahre zugelassen. Wenn die Ständige Impfkommission dem folgt, errichtet Bremen dann noch mehr Impfstellen?
Ob es sinnvoll ist, ein Kind im Alter von fünf Jahren zu impfen, das müssen die Eltern gemeinsam mit dem Arzt oder der Ärztin des Kindes entscheiden. Wir werden so schnell wie möglich die dafür notwendigen Impfangebote schaffen.
Das nächste Bund-Länder-Treffen ist für den 9. Dezember geplant. Muss es vorgezogen werden?
Zunächst einmal müssen jetzt die einzelnen Länder ihre Hausaufgaben machen und die Beschlüsse des letzten Bund-Länder-Treffens konsequent umsetzen. Das gilt vor allem für die von der Pandemie besonders hart betroffenen Regionen. Es bringt nichts, ständig nach neuen Regelungen auf Bundesebene zu rufen, solange der bestehende Rechtsrahmen nicht einmal ausgeschöpft wird. Um ein Beispiel zu nennen: Obwohl in Bayern oder Sachsen die Lage außer Kontrolle geraten ist, können sich die CDU/CSU geführten Länder derzeit nicht einmal darauf verständigen, dass bei sportlichen Großveranstaltungen die maximal zulässige Zuschauerzahl reduziert wird. Das ist wirklich absurd.