Weser Report: Herr Stecker, zum zweiten Mal muss Weihnachten unter Corona-Bedingungen gefeiert werden. Wie richtet sich die katholische Kirche in Bremen darauf ein?
Bernhard Stecker: Das ist für uns alle sehr enttäuschend. Die Chöre müssen wieder pausieren, Konzerte müssen abgesagt werden. Und niemand weiß heute, wann sich die Lage wieder normalisieren wird. Auf der anderen Seite: Wir haben letztes Jahr trotz Corona Weihnachten gefeiert, und wir werden dieses Jahr trotz Corona Weihnachten feiern. Es gibt den Moment, an dem wir sagen: Die Lage ist, wie sie ist, und wir packen es an. Ich habe das zum Beispiel bei den Musikerinnen erlebt. Sie haben nach der Absage der Konzerte gesagt: Wir machen jetzt, was geht.
Wie leidet die Arbeit der Ehrenamtlichen unter der weiteren Pandemie?
Es ist gut, dass wir in Bremen Corona-Regeln haben, die handhabbar sind. Mit 2G kommen wir gut klar. Vieles kann man unter diesen Bedingungen machen, manches ohnehin online. Insoweit ist die Stimmung in den Gemeinden eher positiv. Wir erleben auch einen enormen Zuspruch bei den Gottesdiensten. Als die katholischen Kindergärten und Schulen im November St. Martin gefeiert haben, waren so viele Familien gekommen wie noch nie zuvor.
Sehnen sich die Menschen nach direkten Begegnungen?
Wie verrückt. In den Gottesdiensten sonntags bekommen wir schon Probleme, die Abstände einzuhalten. Darauf achten wir natürlich, aber es kommen so viele Leute. Auch unsere Beratungsstellen werden überrannt von Ratsuchenden. In der Pandemie stoßen Menschen an ihre psychischen Grenzen. Da lässt sich ein Partner impfen, der andere weigert sich. Auch in den Freikirchen und im traditionellen katholischen Milieu trifft man auf Menschen, die das Impfen ablehnen mit dem Argument: Wer betet, wird nicht krank. Der eine lässt sich vom Impfen überzeugen, der andere nicht.
Befürchten Sie eine Spaltung der Gesellschaft?
Nein, davon gehe ich nicht aus. Als es in meiner Jugend um Atomkraft und Friedenspolitik ging, da war die Gesellschaft mindestens so zerstritten wie heute. Allerdings erzeugen derzeit die sozialen Medien einen enormen Druck. Wir müssen uns wieder eine Konfliktkultur angewöhnen und unterschiedliche Meinungen aushalten.
In einigen Orten wird auch in den Kirchen geimpft. Ist das ein Modell für Bremen?
Wir machen das hier in St. Johann nicht, weil wir ein bisschen verborgen im Schnoor liegen. Aber ich selbst bin in einer Kirche in Osnabrück geboostert worden. In Gröpelingen gab es am katholischen Kindergarten ein Impfangebot für Jugendliche und Erwachsene.
In einer Online-Umfrage haben Sie vor einigen Monate die Bremer aufgefordert zu sagen, was sie sich von der Kirche wünschen, was sie an ihr kritisieren. Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Wir hatten eine hohe Teilnehmerzahl und eine positive Resonanz. An den vorgeschlagenen Themen wollen wir jetzt dranbleiben: Quellen des Glaubens, Zusammenarbeit mit anderen Gruppen, Zustand und Nutzung unserer Räume…
Der Synodale Weg, also die Reform der Kirche, war kein Thema?
Auf Bistumsebene sind wir da sehr engagiert, auch ich persönlich. Aber bei der Nachbereitung der Umfrage wollen wir uns auf Themen konzentrieren, die wir hier in Bremen beeinflussen und steuern können.
Sind während der Pandemie mehr Menschen aus der Kirche ausgetreten?
In der ersten Hälfte dieses Jahres hatten wir eine starke Zunahme an Kirchenaustritten, und auf dem relativ hohen Niveau bewegt sich die Zahl auch jetzt noch. Darin steckt aber auch ein Nachhol-
effekt. 2020 war es zeitweise nicht möglich, aus der Kirche auszutreten, weil Ämter und Kirchenverwaltungen lange geschlossen waren. Als Motiv für einen Austritt spielt auch das Geschehen im Erzbistum Köln beim Thema sexueller Missbrauch eine Rolle.
Das Bistum Osnabrück, zu dem der größte Teil Bremens gehört, hat noch keinen Missbrauchsbericht vorgelegt.
Nein, der ist in Arbeit. Im Mai, Juni soll es eine Vorab-Veröffentlichung geben. Den Bericht erstellt keine Anwaltskanzlei. Im Rahmen eines Forschungsprojekt untersucht ein interdisziplinäres Team aus Juristen und Historikern die Fälle und Vorwürfe. Ein wichtiger Punkt ist die juristische Bewertung, ebenso wichtig ist aber die moralische Bewertung.
Mit jedem Austritt verliert die Kirche auch Einnahmen aus der Kirchensteuer. Welche Folgen hat das für Bremen?
Wir haben durch die Austritte nicht unmittelbar große Einnahmeausfälle. Denn es treten vor allem jüngere Menschen aus, die am Anfang ihrer Berufslaufbahn stehen und noch nicht so viel verdienen. Aber wenn ihre Gehälter steigen, bekommen wir natürlich auch nichts. Im Bistum verzeichnen wir im Jahr 3.000 bis 5.000 Kirchenaustritte. Wir verlieren also jedes Jahr rechnerisch eine Gemeinde. Da kann es nicht sein, dass wir alles beibehalten: den kompletten Gebäudebestand und den kompletten Personalbestand. An vielen Stellen haben wir vom Staat auch Aufgaben übernommen, die wir ihm nicht in Rechnung stellen. Das können wir nicht mehr. Wir wollen uns aber nicht aus den Bildungseinrichtungen und sozialen Einrichtungen zurückziehen. Und nicht jede Kürzung führt zu einer Verschlechterung, an vielen Stellen erreichen wir durch Konzentration eine Verbesserung.