Seit November 2011 leitet er die Bremer Kunsthalle: Christoph Grunenberg. Foto: Schlie
Interview

„Nur provozieren ist langweilig“

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Zehn Jahre Kunsthalle: Christoph Grunenberg spricht über Ziele und zerschlagenes Porzellan.

Weser Report: Herr Grunenberg, bevor Sie nach Bremen kamen, waren Sie zehn Jahre in Liverpool. Nun sind Sie bereits ebenso lange Direktor der Bremer Kunsthalle. Bleiben Sie Bremen erhalten?

Christoph Grunenberg: Wo ist nur die Zeit geblieben? Nun ja, irgendwann möchte man sich auch häuslich niederlassen, und in Bremen lässt es sich gut leben. Überhaupt: Mit einer Stadt warm zu werden, ein Museum einzurichten und weiterzubringen, das ist spannend und macht Spaß. Und wir haben noch viel vor. Außerdem gibt es in Bremen viele langjährige Direktoren: Ich bin erst der sechste in 122 Jahren.

Was genau haben Sie noch vor?

Nächstes großes Ziel ist das 200. Jubiläum des Kunstvereins. Das will ich auf jeden Fall mitmachen und ordentlich feiern. Im November 2023 ist es so weit, wir stecken mitten in den Planungen. Es gibt nicht viele Museen, die so alt sind, und deshalb soll es ein spektakuläres Jahr werden.

Sie sind vor zehn Jahren mit dem Anspruch angetreten, die Kunsthalle zu einem „Museum des 21. Jahrhunderts“ zu machen. Haben Sie das Ziel erreicht?

Ja und nein. Aber wir sind gut unterwegs, gerade im nationalen Vergleich. Aber man muss auch sagen: In angloamerikanischen Museen tut sich da noch immer mehr. Grundsätzlich sind wir digital, vor allem in den sozialen Medien, deutschlandweit führend. Unser neuestes Vermittlungsprojekt, ein Multimedia-Guide für das eigene Endgerät, ist jetzt fertig entwickelt und für die Manet-Ausstellung in der Anwendung. Der neue Online-Katalog ist ein weiterer wichtiger Schritt. Darin stellen wir alle Werke aus der Sammlung vor und zehntausende Werke, die im Depot lagern. Die Fertigstellung ist für nächstes Jahr vorgesehen. Insgesamt ist das alles sehr aufwendig, aber das wird ein Meilenstein, denn damit können die Nutzer die Sammlung nach bestimmten Themen durchsuchen oder sich eine persönliche Ausstellung zusammenstellen.

Die pandemische Lage hat gerade im digitalen Bereich einige Dinge beschleunigt…

…Corona hat tatsächlich einen Riesen-Schub gegeben, was die Digitalisierung angeht. Plötzlich waren Dinge möglich und vor allem normal, die vorher kaum umsetzbar schienen. Und es hat uns geholfen, mit Besuchern und Unterstützern in Deutschland und auf der ganzen Welt in Kontakt zu bleiben. Es wurden Formate entwickelt und etabliert, die wir auch weiterhin anbieten: Etwa Online-Führungen und -Akademien oder Live Kunstpausen. Und das ist gerade im Hinblick auf jüngere Besucher wichtig – auch wenn das den Museumsbesuch nicht ersetzt.

Ebendiese Zielgruppe zwischen 12 und 18 Jahren zu vergrößern, gehört ebenfalls schon lange zu Ihren Zielen. Wie sieht es da aus?

Erstmal muss ich sagen, dass wir bisher recht gut durch die Covid-Zeit gekommen sind. Wir haben immer noch mehr als 10.000 Vereinsmitglieder, da sind nur wenige trotz langer Schließzeiten abgesprungen. Aber das ist auch eine andere Altersstruktur. Junge Besucher versuchen wir mit freiem Eintritt, unserem neuen Tiktok-Kanal oder in Kooperationen mit Kitas und Schulen zu binden. Das ist eine große Herausforderung. Man muss auch mal mutig sein und neue Sachen ausprobieren. Wie die beliebten Kunstrausch-Partys oder eine Ausstellung wie What is Love? – die kam bei Jugendlichen sehr gut an. Einfache Rezepte gibt es nicht. Aber ich kann sagen, dass wir eine deutliche Steigerung an jungen Gästen haben.

Schon mit Ihrer ersten Ausstellung zu Friedensreich Hundertwasser haben Sie polarisiert. Ist Provokation wichtig?

Ich war damals überrascht, denn Ziel war es, die Wahrnehmung des Künstlers als führenden Vertreter der Nachkriegs-Avantgarde zu rehabilitieren. Aber die Wogen haben sich ja schnell geglättet. Provozieren alleine ist langweilig – da gibt es nur einen kurzen Schockmoment. Tabuthemen sind wichtig, aber noch wichtiger ist es, Fragen zu stellen und über diese einen Denkprozess in Gang zu setzen. Und immer wieder geht es mir auch darum, sich intensiv mit der Geschichte des Hauses und der Stadt auseinanderzusetzen. Denn das Museum als internationales Haus ist lokal tief verwurzelt und ein integraler Bestandteil von Bremen.

Gab es in zehn Jahren auch Pleiten?

Nicht alles ist ein super Erfolg gewesen, aber totale Desaster gab es nicht. Es ist nur einmal etwas kaputt gegangen: Bei der Hundertwasser-Ausstellung hat sich ein Besucher auf ein installiertes Waschbecken gelehnt. Das ist abgebrochen und zersprungen.

Was möchten Sie unbedingt noch umsetzen?

Meine Traum-Ausstellung war die Ikonen-Ausstellung; die haben wir mit großem Erfolg geschafft. Jetzt freue ich mich auf das Jubiläum und arbeite daran, dass Mitgliederzahlen und Sammlung gleichermaßen wachsen. Vielleicht werden wir wieder was Verrücktes zeigen. Irgendwas Ungewöhnliches fällt uns bestimmt ein.

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