Weser Report: Herr Harder, gemeinsam Zukunft gestalten – unter dieses Motto stellt der DGB den diesjährigen 1. Mai. Und weiter: Gewerkschaften für ein solidarisches Miteinander. Wieweit reicht die Solidarität mit der Ukraine?
Ernesto Harder: Wir verurteilen den russischen Angriffskrieg und sprechen uns für dessen sofortiges Ende aus. Nicht die Ukraine, der russische Präsident Wladimir Putin muss die Kampfhandlungen einstellen.
Reicht die Solidarität so weit, dass Sie die Bundesregierung auffordern, die Einfuhr von russischem Gas und Öl zu stoppen? Das könnte auch Arbeitsplätze in Deutschland gefährden.
Das ist so, das würde Arbeitsplätze hier gefährden. Deswegen mahnen wir zu sehr großer Vorsicht. Erstens stellen wir infrage, ob und inwieweit ein deutscher Importstopp effizient wäre und inwiefern er zweitens technisch möglich wäre. Dass sich Russland von einem Importstopp wirklich beeindrucken ließe, bezweifelt der DGB. Wenn wir Maßnahmen einleiten, von denen wir nicht wissen, wie effizient sie wären, wir aber wissen, dass sie Arbeitsplätze und Infrastruktur zerstören würde, dann sind wir dagegen. Das hat nichts mit mangelnder Solidarität mit der Ukraine zu tun.
Wie steht der DGB zur geplanten Erhöhung des Bundeswehretats?
Das sehen wir kritisch, der DGB ist Teil der Friedensbewegung. Und wenn man an einer Stelle den Etat erhöht, muss man ihn an anderer Stelle kürzen. Für uns ist es unerträglich, dass man für weitere Waffen und weitere Aufrüstung der Bundeswehr an der Sozialpolitik spart. Zu prüfen wäre zunächst, ob die Strukturen der Bundeswehr nicht effizienter gestaltet werden müssten.
Bei der 1. Mai-Feier auf dem Domshof fehlen in diesem Jahr Stände der Parteien. Warum?
Das ist kein Indiz für eine schlechtere Kommunikation mit den Parteien. Es ist schlicht eine praktische Maßnahme. Wegen Corona haben wir weniger Stände, um größere Abstände zu ermöglichen.
Wie ist in Bremen das Verhältnis der Gewerkschaften zur Politik?
Wir haben in Bremen einige heiße Themen, bei denen wir mehr Tempo von der Politik erwarten. Wir haben noch ein Jahr bis zur nächsten Bürgerschaftswahl, und wir wollen nicht, dass die Themen Ausbildungsfonds, Landesmindestlohn und Tarif-treuegesetz im Wahlkampf untergehen.
Der bundesweit geltende Mindestlohn steigt im Oktober auf 12 Euro. Das steht doch fest.
Uns geht es um den bremischen Landesmindestlohn. Wie im Bund entscheidet auch in Bremen darüber eine Kommission aus Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern und Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern. Wir fordern, dass der Mindestlohn stattdessen an den Tarifvertrag gekoppelt wird, der für die Beschäftigten in den Landesbehörden gilt. Außerdem streben wir eine Novellierung des Tariftreuegesetzes an, damit das Land Aufträge nur an Unternehmen vergibt, die sich an den Tarifvertrag halten.
Nach dem jüngsten Geschäftsbericht des DGB verlieren die Gewerkschaften weiter an Mitgliedern. Allein von 2020 auf 2021 sank deren Zahl um 100.000 auf 5,7 Millionen. Wie wollen Sie den Trend stoppen?
Das Werben von Mitgliedern fällt eigentlich in den Bereich der Einzelgewerkschaften. Aber jetzt machen auch wir uns als DGB auf den Weg, gemeinsam mit unseren Einzelgewerkschaften, um neue Mitglieder zu werben. Wir gehen tatsächlich mit einer eigenen Agentur los und machen Stände in den Innenstädten und vor Bahnhöfen und sprechen mit den Leuten. Als Gewerkschaften müssen wir immer wieder neu sagen, warum es uns gibt. Uns gibt es nicht nur, um bessere Löhne, bessere Arbeitszeiten und bessere Arbeitsbedingungen zu erhalten. Wir stehen auch für ein gesellschaftliches Bild, für Solidarität, für Demokratie und für Meinungsvielfalt.
Auf dem Gewerkschaftstag im Mai soll mit Yasmin Fahimi erstmals eine Frau an die Spitze des DGB gewählt werden. Unter den Mitgliedern der Gewerkschaften finden sich bisher aber nur sehr wenige Frauen. Wie wollen Sie das ändern?
Das hat mit den sehr starken Industriegewerkschaften zu tun, die in männerdominierten Branchen tätig sind. Aber ich finde es wichtig, dass bei uns als Gewerkschaft auch Probleme auf der Tagesordnung stehen, die explizit Arbeitnehmerinnen haben.
Die Preise steigen so stark wie lange nicht mehr. Was heißt das für die anstehenden Tarifrunden?
Unsere Tarifforderungen enthielten bisher immer einen Inflationsausgleich, eine Umverteilungsvariante und qualitative Elemente. Das wird eine schwere Aufgabe. Hier ist aber auch die Bundesregierung gefordert. Bezieherinnen und Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen brauchen eine Entlastung, um über die Runden zu kommen. Die bisherigen Maßnahmen reichen nicht und funktionieren nach dem Gießkannenprinzip. Wir fordern zielgerichtete Entlastungen. Eine Möglichkeit wäre, den Steuerfreibetrag für kleinere und mittlere Einkommen zu erhöhen.
Oder sollten die Tarifrunden angesichts der Unsicherheiten verschoben werden?
Das kann ich mir nicht vorstellen.