Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel ist Forschungsleiter für Wirtschaft und Finanzen am Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen.Foto: Schlie Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel ist Forschungsleiter für Wirtschaft und Finanzen am Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen.Foto: Schlie
Wirtschaft

„Vor einer Rezession“

Von
Bremer Ökonom Rudold Hickel über Preisschock, Jobs und Bovenschulte-Effekt

Weser Report: Herr Hickel, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Gasmangel – rutscht Deutschland in eine Rezession?

Rudolf Hickel: Ja, wir stehen vor einer Rezession, auch getrieben von der globalen Wirtschaftskrise. Im Herbst droht die Gesamtwirtschaft zu schrumpfen. Mit Kurzarbeit muss wieder gegengesteuert werden.

Droht allen EU-Ländern eine Wirtschaftskrise?

In Deutschland ist die heute krisentreibende Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen besonders groß. In den anderen EU-Ländern stellt sich das unterschiedlich dar.

Aber in den Euro-Ländern wird die Gesamtwirtschaft vor allem durch die weiteren Schritte der Zinswende zusätzlich belastet. Aufgrund der allgemeinen Rezessionsgefahr ist das eine geldpolitische Fehlentscheidung. Denn für die auf Kredite angewiesene Wirtschaft wird die Fremdfinanzierung teurer. Die Zinsen für Immobilienkredite haben sich schon verdreifacht.

Die Europäische Zentralbank (EZB) wurde lange gedrängt, endlich die Zinsen zu erhöhen.

Seit 2012 haben wir eine Geldschwemme und eine Zinspolitik um null Prozent herum, trotzdem ist die Inflation in dieser Zeit nicht gestiegen. Die Erzählung, Geldüberhang führt zu Inflation, stimmt schon lange nicht mehr.

Der Ausbruch der Inflation ist derzeit ausschließlich durch importierte Angebotspreise zu erklären; ein importierter Preisschock, ausgelöst durch die hohen Energiepreise. Ich gehe davon aus, dass die Inflationsrate für das gesamte Jahr 2022 bei bis zu 8,5 Prozent liegen kann. Davon macht die Gaspreisumlage einen Prozentpunkt aus. Kommt es zu keinem Ersatz für die 9-Euro-Tickets, steigt die Inflationsrate noch mehr.

Wie wirkt sich die drohende Rezession auf die Arbeitsplätze aus?

Wenn wir in eine Rezession kommen, wird die Nachfrage nach Arbeitskräften zurückgehen. Allerdings haben wir einen großen Mangel an Fachkräften. Das ist historisch neu für Deutschland: Wir gehen mit einem hohen Überhang an angebotenen Arbeitsplätzen in die Rezession.

Die Zahl der Stellen, die wegen des Fachkräftemangels unbesetzt sind, dürfte höher bleiben als die Zahl der Stellen, die abgebaut werden. Das ist auch die Folge der Tatsache, dass die Unternehmen aus den vergangenen Krisen gelernt haben, auf eine mittelfristige Personalpolitik zu setzen. Bevor sie Stellen streichen, werden sie auf die Kurzarbeit setzen, damit sie beim Wiederaufschwung genügend Personal haben.

In der größten deutschen Industriebranche, der Metall- und Elektroindustrie, beginnt in den nächsten Wochen die Tarifrunde. Ein Inflationsausgleich könnte die Preise weiter in die Höhe treiben.

Die Lohnformel der Gewerkschaft lautet: Teilhabe an der steigenden Produktivität, eine Umverteilungskomponente zugunsten der Lohnquote und einen Inflationsausgleich. Wenn die IG Metall allein für den Inflationsausgleich 8 Prozent ansetzen würde, wäre das mit ihrer bisherigen Tarifpolitik nicht vereinbar.

Bisher hat sich die Gewerkschaft immer an der Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank mit zwei Prozent orientiert. Die Lohnforderung für den Inflationsausgleich wird in der kommenden Tarifrunde deutlich höher liegen. Letztendlich kommt bei der Höhe des Ausgleichs zur Reallohnsicherung auf die Finanzpolitik eine riesengroße Verantwortung auf die Politik zu.

Die Politik soll in die Tarifrunde eingreifen?

Nein, niemals, sie kann Druck aus den Tarifverhandlungen herausnehmen, wenn sie einen sozialen Inflationsausgleich politisch hinbekommt. Ich bin ein großer Fan des Gaspreisdeckels. Man legt je nach Wohnungsgröße eine Mindestmenge an Gas fest, für sie wird der Preis auf dem Stand von 2021 eingefroren.

Für die Differenz zwischen dem eingefrorenen Preis und dem aktuellen Marktpreis muss der Staat aufkommen. Wer mehr als die Mindestmenge verbraucht, muss für dieses Mehr den aktuellen Marktpreis bezahlen. Hinzu kommen weitere Maßnahmen auch für die Beschäftigten wie ein Ersatz des 9-Euro-Tickets sowie ein höheres Wohn- und Kindergeld.

Die Bundesregierung hat schon Hilfen zugesagt. Reichen die nicht?

Die zwei bisher beschlossenen Entlastungspakete mit 30 Milliarden Euro reichen bei Weitem nicht aus. Viele Maßnahmen erfolgen einmalig oder sind befristet. Wegen des Inflationsschubs brauchen wir ein zusätzliches Entlastungsprogramm.

Es muss auf bestimmte Personen und explodierende Energiepreise zugeschnitten werden. Eine Verteilung nach dem Gießkannenprinzip wie bei der bisher einmaligen Energiepauschale halte ich nicht für optimal.

Muss die Bundesregierung in dieser Lage nicht die Schuldenbremse lockern oder aufheben?

Es geht in keinen rational denkenden Kopf hinein, wie unter den neuen Herausforderungen die Schuldenbremse eingehalten werden soll. Ich bin nicht für ein wildes Schuldenmachen; man muss penibel darauf achten, was damit finanziert wird.

Wenn man Kredite finanziert, um die Wirtschaft ökologisch fundiert wieder in Schwung zu bringen, ist das absolut richtig. Und wenn man in die Infrastruktur investiert, ist das ein Beitrag für künftige Generationen. Die Gaspreisumlage wäre wahrscheinlich nicht so gekommen, wenn wir keine Schuldenbremse hätten. Inzwischen hat diese Umlage ja immerhin den Bovenschulte-Effekt erzeugt.

Was hat der Bremer Bürgermeister damit zu tun?

Shell und RWE haben angekündigt, auf das öffentliche Geld aus der Gaspreisumlage wegen ihren Extragewinnen zu verzichten. Die von An­dreas Bovenschulte angestoßene Diskussion über eine Übergewinnsteuer hat also schon Vernünftiges ausgelöst, ohne überhaupt eingeführt worden zu sein.

Einige der Gasversorger, die auf anderen Feldern Profiteure der Energiekrise sind, entgehen dem Streit um die befristete Übergewinnsteuer. Trotz international positiver Erfahrungen, bei den gegebenen Machtverhältnissen wird sie am Ende verhindert werden. Dabei ließe sich mit den Einnahmen auch den Unternehmen helfen, die unverschuldet durch den Energiepreisschock Verluste schreiben.

Brauchen wir ein Hilfspaket für Betriebe?

Es ist absolut wichtig. Ähnlich wie wegen Corona muss es ein Rettungsprogramm vor allem für energieintensive kleine und mittlere Unternehmen geben.

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