Bei Kühne + Nagel hat Holger Ketz Speditionskaufmann gelernt. Seit 2019 ist er Deutschlandchef des Logistikkonzerns. Im kommenden Januar wechselt der gebürtige Niedersachse von Bremen in die Zentrale in der Schweiz und dort ins globale Luftfracht-Management.Foto:Schlie Bei Kühne + Nagel hat Holger Ketz Speditionskaufmann gelernt. Seit 2019 ist er Deutschlandchef des Logistikkonzerns. Im kommenden Januar wechselt der gebürtige Niedersachse von Bremen in die Zentrale in der Schweiz und dort ins globale Luftfracht-Management. Foto:Schlie
Interview

„Wir holen die letzten 747 ab“

Von
Kühne + Nagel-Deutschlandchef Holger Ketz über Lieferketten und Investments

Weser Report: Herr Ketz, kommen alle Weihnachtsartikel noch rechtzeitig in Deutschland an?

Holger Ketz: Eigentlich ist das Weihnachtsgeschäft schon durch. Und auch in den Lieferketten zeichnet sich eine Besserung ab. Wir können allerdings noch nicht so planen wie vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Auch der Krieg in der Ukraine wirkt sich auf die Lieferketten aus. Deshalb sprechen wir frühzeitig mit unseren Kunden. Wir brauchen einen längeren Vorlauf, um die Transporte zu planen. Als großer Logistikanbieter und globale Nummer eins in der See- und Luftfracht können wir meist alternative Transportmöglichkeiten anbieten. Da müssen wir kreativ sein.

China, Deutschlands wichtigster Handelspartner, hat während der Pandemie immer wieder Häfen geschlossen und hält immer noch an der Null-Covid-Strategie fest. Wie reagieren Sie darauf?

In manchen Regionen ruft China auch heute noch Lockdowns aus und die Häfen können jederzeit von Corona-Maßnahmen betroffen sein. Das führt zu Verschiebungen in den Lieferketten. Die Pünktlichkeit der Linienreedereien ging bis auf 30 Prozent herunter, steigt aber langsam wieder. Auch vor der deutschen Nordseeküste stauen sich noch Schiffe, die auf die Einfahrt nach Hamburg warten. Und den Container als Lager zu nutzen um just-in-time zu liefern, das funktioniert nicht mehr. Auch hier setzen wir vermehrt auf die Orchestrierung über die Verkehrsträger hinweg. Auch helfen uns eigens entwickelte digitale Anwendungen, um besser mit der Volatilität in den Frachtkapazitäten umzugehen. So haben wir mit dem „Seaexplorer“ eine innovative Plattform entwickelt, die auch Verzögerungen in den wichtigsten Containerhäfen der Welt erfasst und so eine bessere Planung erlaubt.

Und in den Häfen stauen sich die Container?

Teilweise ja. Denn was nutzt mir ein Container, der in Hamburg steht, den ich aber in China brauche? Einige Unternehmen haben wegen der unsicheren Lage mehr bestellt, als sie jetzt wegen der Konsumzurückhaltung abverkaufen können. Wer heute Lagerflächen zur Verfügung stellen kann, hat ein gutes Auskommen.

Angesichts des Mangels an Masken und Tests zu Beginn der Corona-Pandemie und erst recht seit Russlands Krieg und den Drohungen Chinas gegenüber Taiwan wird der Ruf lauter, Produktionsstätten in die EU zurückzuverlagern. Wie würde sich das auf einen Logistiker wie Kühne + Nagel auswirken?

Eine große Verlagerung aus Asien nach Europa sehe ich persönlich nicht. Wir sehen aber eine Verlagerung innerhalb Asiens weg von China beispielsweise nach Vietnam. Auch andere südostasiatische Staaten dürften von dem Trend profitieren. Aber das ist nicht das Ende der Globalisierung.

Dieser Sommer war äußerst trocken, der Rhein führte wenig Wasser. Wie ersetzen Sie ihn als Wasserstraße?

Dann müssen wir hauptsächlich auf die Bahn verlagern. Sie ist für uns ein sehr wichtiges Transportmittel, insbesondere auch für die Anbindung der norddeutschen Seehäfen an das Hinterland Deutschlands. Auch mit Blick auf den CO2-Fußabdruck ist die Bahn als Transportmittel für uns die erste Wahl.

Kühne + Nagel testet auch Lkw mit einer Solarbeschichtung. Wie weit sind die Versuche?

In den Niederlanden läuft solch ein Versuch. In Deutschland testen wir den Einsatz von Elektro-Lkw. Wir engagieren uns auch sehr stark in Tests mit klimaneutralem Treibstoff für Flugzeuge und Schiffe. Unter anderem arbeiten wir mit der Lufthansa Cargo an der Entwicklung von synthetischen Sustainable Aviation Fuels (SAF). Aber noch kann dieser Kraftstoff nur in kleinem Maßstab hergestellt werden.

In der brandenburgischen Gemeinde Oberkrämer hat Kühne + Nagel eine Logistikhalle für die Pharmaindustrie gebaut, eine Reaktion auf die Pandemie?

Nein, Kühne + Nagel konzentriert sich auf spezifische Lösungen für unterschiedliche Industrien, und der Pharmabereich gehört dazu. In Leipzig haben wir schon seit Jahren eine Logistikanlage für den Pharmabereich. Die Anlage in Oberkrämer betreiben wir für einen großen deutschen Kunden. Wir haben in der Corona-Pandemie auch Masken, Tests und Impfstoff transportiert – und tun es immer noch. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel haben wir die gesamte Verteilung der Impfstoffe übernommen.

Aus Russland hat sich Kühne + Nagel zurückgezogen, aber welche neuen Projekte stehen an, insbesondere in Deutschland?

Wir haben uns auch aus Belarus, Kasachstan und Aserbaidschan zurückgezogen. In Deutschland arbeiten wir besonders in der Kontraktlogistik an unterschiedlichen Projekten. In Hodenhagen beispielsweise werden wir in wenigen Tagen eine Einweihung feiern: die Erweiterung einer Logistikanlage für Vestas, den dänischen Hersteller von Windkraftanlagen. Weitere Projekte sind in der Planung. International gesehen nehmen wir nächste Woche in Seattle eine neue Boeing 747 in Empfang. Kühne+Nagel bekommt die beiden letzten Jumbojets, die noch produziert werden. Wir haben die Flugzeuge zwar nicht gekauft, aber langfristig von einer amerikanischen Gesellschaft gechartert. In den nächsten Jahren werden beide Flugzeuge mit einer Kühne + Nagel-Lackierung durch die Lüfte fliegen.

Fakten

Der Weltmarkt-Führer

Der Logistikkonzern Kühne + Nagel ist weltweit die Nummer eins in der Seefracht und in der Luftfracht. In mehr als 100 Ländern beschäftigt er über 80.000 Mitarbeiter, davon etwa 17.000 in Deutschland.

Gegründet wurde das Unternehmen 1890 in Bremen. Firmensitz ist inzwischen Schindellegi, ein 3.700 Einwohner-Ort oberhalb des Zürichsees.

Vor zwei Jahren zog die Deutschland-Zentrale von Hamburg nach Bremen. An der Wilhelm-Kaisen-Brücke hatte Mehrheitseigner Klaus-Michael Kühne einen Neubau errichten lassen.

2021 steigerte die Kühne + Nagel-Gruppe ihren Netto-Umsatz um 54,1 Prozent auf 36,7 Milliarden Schweizer Franken. Der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) erhöhte sich um 91,6 Prozent auf 3,7 Milliarden Franken.

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