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Klimakrise

Wann das Internet zum Klimakiller wird

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Energiefresser Internet: Ist unser Surfverhalten mitschuldig an der Klimakrise?

Waldbrände, Tornados, Dürren…was den Deutschen jahrzehntelang nur aus dem Fernsehen bekannt war, hat inzwischen auch unser Land erreicht. Braune statt grüner Wiesen, absterbende Wälder, ausgetrocknete Flussbetten und Alarm schlagende Landwirte sind für niemanden mehr ein temporäres oder gänzlich unbekanntes Phänomen. Auch dem hartnäckigsten Klimakrisen-Leugner sollte es allmählich dämmern, dass irgendwas nicht mehr so ist, wie es sein sollte.

Suche nach Schuldigen

Das reflexartige Suchen nach Schuldigen ist eine natürliche, jedoch nicht immer eine sinnvolle Reaktion auf eine Krisensituation. Allzu leicht wird dabei jede Woche eine neue „Sau durchs Dorf getrieben“. War es jahrelang der Automotor, wurde es kurz danach das Flugzeug, die Viehhaltung und jetzt eben das Internet. Die Argumentation lautet, dass der Stromverbrauch des World Wide Webs massiv zur Freisetzung von Treibhausgasen beiträgt und damit Mitschuld am Klimawandel trägt. Das klingt zunächst logisch, sollte aber kritisch hinterfragt werden.

Zahlen, welche beeindrucken sollen

Einige Quellen, welche die Klimaschädlichkeit des Internets belegen wollen, sparen nicht mit dramatischen Zahlen. Gemäß der Faustformel 1 Watt = 0,6 Gramm CO2 lässt sich für viele alltägliche Handlungen ein beeindruckender Fußabdruck errechnen. Eine E-Mail führt zur Freisetzung von einem ganzen Gramm CO2, eine Suchanfrage bläst 0,2 Gramm in die Atmosphäre und eine Stunde Netflix entspricht einem Kilometer Autobahn fahren oder bis zu 25 Gramm Kohlendioxid. Das auf den Gesamtverbrauch hochgerechnet, kommt man auf 1.000 Tonnen Email-CO2 pro Tag oder 33 Millionen Tonnen CO2 für alle Netzaktivitäten in Deutschland.

Die gerne ignorierte Gegenfrage

Diese Zahlen klingen auf den ersten Eindruck zwar außergewöhnlich hoch, allerdings muss man für eine korrekte Einordnung verstehen, wie das Internet überhaupt funktioniert. Selbst beim derzeitigen CO2-intensiven Energieverbrauch des Internets sollte man doch eine wichtige Frage nicht vergessen: Wie viel CO2 wird denn durch den Einsatz des Internets gespart? Gleichgültig, welche Internet-Aktion auf ihren CO2-Fußabdruck untersuchen möchte, das Einrechnen der CO2 Freisetzung bei einer alternativen Handlung gehört mit in die Gleichung. Wie verhält sich also die Ökobilanz eines geschriebenen Briefes gegenüber einer E-Mail? Herstellungskosten, Material und Transport setzen mit Sicherheit ein Vielfaches des Treibhausgases frei, was die praktische elektronische Post verursacht. Gleiches gilt für das Streaming: Wollen wir wieder DVDs ausleihen, die produziert, transportiert und abgespielt werden müssen? Was spart das Streaming hier alleine an Herstellungskosten ein?

Home-Office als Nagelprobe

Spätestens mit dem enormen Erfolg des Home-Office während der Corona-Krise sollte die angeblich so schlechte Umweltbilanz des Internets hinterfragt werden. Was hier an CO2 eingespart wurde ist nicht mehr theoretisch, sondern faktisch messbar. So hat jeder einzelne im Home-Office befindliche Deutsche im Jahr 2021 satte 1.4 Tonnen CO2 eingespart. Dabei hat er aber mit Sicherheit nicht 1,4 Millionen Emails geschrieben. Die wären aber nötig gewesen, um die CO2-Bilanz des Internets umzukehren. An diesem Beispiel zeigt sich, dass die Verteufelung des Internets als Klimakiller doch eher als Nebelkerze zu verstehen ist. Über die Motive kann man rätseln, aber eines ist heute schon mehr als offensichtlich: Das Internet ist mit Sicherheit kein Klimakiller, sondern vielmehr das Gegenteil. Es ersetzt eine Unmenge an Technologien, für die vor wenigen Jahren noch große, schwerfällige und stromfressende Geräte erforderlich waren.

Schwarze Schafe gibt es immer

Nun ist tatsächlich nicht alles am Internet lobenswert. Es gibt einige Bereiche, die enorme Strommengen für eher zweifelhafte Anwendungen verbrauchen. Allen voran sind es die Kryptowährungen, die eigentlich nichts anderes tun, als Energie in Wärme umzuwandeln. Davon aber nicht zu knapp: Die Universität Cambridge schätzt den jährlichen Stromverbrauch nur von Bitcoin auf 135 Terrawattstunden, also 135 Billionen Watt. Das entspricht gemäß der Faustformel satten 81 Millionen Tonnen Co2. Hier kann man sich schon fragen, ob ein fragwürdiges Investmentprojekt solche enormen Mengen Treibhausgase produzieren sollte. Aber letztendlich ist auch das die falsche Frage.

Die Stromproduktion ist entscheidend

Das Internet setzt nicht das CO2 frei, sondern die dafür erforderliche Stromgewinnung. Solange diese aus fossilen Energieträgern gewonnen wird, ist eine kritische Betrachtung des Internets zumindest gestattet. Sobald aber die Vision des „grünen Internets“ Wirklichkeit wird, ist die Diskussion um seine Klimafreundlichkeit auch hinfällig geworden. Das gilt übrigens auch für alle anderen „Klimakiller“. Sobald die Mehrheit mit grün aufgeladenen Elektrofahrzeugen fährt, ist der „Klimakiller Auto“ vom Tisch. In der Viehzucht sieht es ähnlich aus. Fisch- und Hühnerfleisch wird heute schon erfolgreich und kommerziell in Petrischalen gezüchtet, ohne dass dafür ein Tier aufgezogen und geschlachtet werden müsste. Die „furzenden Kühe“ sind damit ebenfalls bald Geschichte. Die Häuser werden gedämmt und bald ist die Solaranlage auf dem Dach verpflichtend für jeden Neubau. Der Ausbau der Windenergie nimmt wieder Fahrt auf und die Ideen für weitere regenerative Energieprojekte werden immer mutiger. Überdachte Autobahnen, Eisenbahnschwellen mit Solarzellen oder direkte Energiegewinnung auf dem Gemüseacker sind schon in der Realisierung. Es tut sich also einiges, um die Energieversorgung so schnell wie möglich regenerativ werden zu lassen. Das Internet wird davon nur profitieren, auch mit seinem ökologischen Fußabdruck.

Nicht die falschen Fragen stellen

Es bleibt festzustellen, dass der „Klimakiller Internet“ im üblichen Gebrauch doch eher ins Reich der Märchen gehört. Diskussionen dieser Art tragen eher den Geruch eines Ablenkungsmanövers. Man kann eben nicht Stromverbrauch mit CO2-Ausstoß gleichsetzen und dann auch noch die Einspareffekte durch den Wegfall der Alternativen ignorieren. Tut man dies, erreicht man nur eines: Die Fütterung des Ohnmachtsgefühls, welches letztendlich doch wieder zum Ablehnen der Eigenverantwortung führt. Es wird kein einziger Eisbär gerettet, wenn wir morgen alle auf das Streaming verzichten würden. Statt uns beim entspannten Bing-Watching ein schlechtes Gewissen einzureden zu wollen, sollte der Fokus darauf liegen, wie wir das Internet noch besser nutzen können. Home-Office ist nur der Anfang. Es zeigt, welches Potential sich hinter dieser Technologie der weltweit vernetzten Endgeräte auch heute noch verbirgt. E-Learning, E-Governance, und viele andere Bereiche des täglichen Lebens haben die vollen Möglichkeiten des Internets noch längst nicht ausgeschöpft. Solange wir noch nicht einmal unsere Autos über das Internet anmelden können, sollten wir mit dem Verteufeln dieser Technologie sehr vorsichtig sein. Das Internet ist nicht das Problem, sondern nur diejenigen, die es nicht verstehen und konsequent nutzen wollen.

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