Vielleicht sieht man bald neben den gelben Rapsfeldern den grüne Hanf aus dem Boden schießen. Foto: pixabay
Politik

Baut bald jeder Cannabis an?

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Experte Tim Berthold im Gespräch über die Legalisierung der Droge

Noch ist der Besitz von Cannabis illegal. Mit der Legalisierung würde die Droge allerdings frei verfügbar sein und in gesonderten Geschäften verkauft werden. Die Eckpunkte einer solchen Legalisierung sind seit Ende Oktober durch das Bundeskabinett und dem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach beschlossen worden. Dies ist allerdings nur ein Zwischenschritt, bis zum endgültigen Beschluss können sich noch Details ändern.

Die Legalisierung ist keine Verharmlosung der Droge

Delme Report: Herr Berthold, die Regierung plant derzeit eine Legalisierung von Cannabis in 2024. Die Legalisierung sieht zum Beispiel vor, dass Erwachsene 20 bis 30 Gramm Cannabis erwerben und besitzen dürfen. Sehen Sie Gefahr für jene, die noch nie Kontakt mit Cannabis hatten und eventuell abhängig werden könnten?

Tim Berthold: Nein, zumindest keine signifikante Erhöhung. Die Entscheidung für den Konsum hängt nicht mit der Legalisierung zusammen. Cannabiskonsum wird dadurch nicht harmlos, sondern ist nach wie vor gefährlich. Jene, die Cannabis erwerben und konsumieren wollen, tun dies jetzt schon. Eventuell wird es eine Gruppe von Menschen geben, die neugierig sind oder aus nostalgischen Gründen kiffen wollen. Gemäß dem Bio-Psycho-Sozialen Modell entsteht eine Suchterkrankung aber aus dem Zusammenwirken verschiedener Faktoren. Insbesondere Konsum zur Kompensation bei Problemen stellt hier eine Gefahr dar. Menschen die aus diesen Gründen zu Drogen greifen, haben sich von dem Verbot auch nicht abhalten lassen, dieses hat eher ihre Probleme noch verstärkt.

Sehen Sie ein Problem darin, wenn Geschäfte zukünftig für Cannabis Werbung machen?

Werbung ist ein großes Problem, da es jeden trifft. Besonders junge Menschen lassen sich von Werbung beeinflussen. Dies zeigt sich bereits an den Werbekampagnen für Alkohol, die das Produkt als Droge verharmlosen. Statt Werbung sollte es Informationen auf bundesweiter Ebene geben, dass Cannabis trotz Legalisierung nicht ungefährlich ist. Im Gegenteil: Die Legalisierung soll eine breite Aufklärung und eine strengere Kontrolle ermöglichen.

Die Vorteile eines „Cannabis-Führerscheins“

Sollte es dementsprechend mehr bindende Informationsveranstaltungen geben?

Ich hoffe, dass vermehrt Suchtpräventionsmaßnahmen angeboten werden. Ganz besonders an jeglichen Schulen und Universitäten, wo junge Leute erreicht werden können. Frühzeitige Aufklärung ist essentiell und das Wissen darüber, dass Cannabis gefährlich ist und im Zusammenhang mit Psychosen steht, sollte jedem bewusst sein.

Halten Sie in dem Rahmen einen Cannabis-Führerschein für möglich?

Eine solche Umsetzung wäre vermutlich nicht möglich, aber es ist eine spannende Idee. Es haben sich bereits Jugendliche zu dem Thema Gedanken gemacht und es als positiv wahrgenommen, wenn vorab Workshops verpflichtend sind und am Ende ein Test darüber entscheidet, ob die Person für einen Konsum von Cannabis geeignet ist oder nicht. Allerdings gibt es solche Regelungen auch nicht für Alkohol, wer 18 Jahre ist, darf trinken. Eine Aufklärung in den Apotheken, wo das Cannabis verkauft werden könnte, ist ebenfalls nicht zielführend. Theoretisch wären Apotheker zwar fähig, den Kunden entsprechend aufzuklären, allerdings sollte diese Aufklärung vor dem Weg zur Apotheke und weit vor der Entscheidung zum Kauf stattgefunden haben. Dieses Angebot der Aufklärung sollte dann bei der Suchthilfe angeboten werden.

Cannabis ist das zweithäufigste Thema in der Suchtberatung

Woran könnte die konkrete Umsetzung scheitern?

Wir brauchen mehr Ressourcen. Die Risiken und der Aufklärungsbedarf in den anderen Bereichen verschwinden durch die Legalisierung von Cannabis ja nicht. Auch zu den Themen Alkohol und Rauchen muss weiterhin Suchtprävention stattfinden. Cannabis ist bereits das zweithäufigste Thema bei uns und es wird mehr werden. Nicht unbedingt durch eine steigende Zahl von Konsumenten und Konsumentinnen, sondern aus anderen vielfältigen Gründen. Eventuell werden die Anfragen von Eltern steigen, die Warnzeichen frühzeitig erkennen oder sich allgemein informieren wollen. Weiter könnten sich jene bei uns melden, die derzeit noch Angst davor haben sich Hilfe zu suchen. Derzeit ist Cannabis noch illegal und viele haben Angst vor Konsequenzen. Wir unterstehen der Schweigepflicht und behandeln Probleme diskret, aber das Stigma gibt es.

Eine Legalisierung könnte also zur Entstigmatisierung führen?

Genau. Es könnte mehr in die Richtung geforscht werden, Informationen sind leichter zugänglich und Vorurteile könnten aufgebrochen werden. Die These, dass Cannabis eine Einstiegsdroge ist, ist zum Beispiel schon länger widerlegt. Wenn jemand Drogen nehmen will, dann nimmt er die Droge, die er will und die zu ihm passt – unabhängig davon, ob er Cannabis raucht oder nicht.

Welchen Mehrwert hätte die Legalisierung noch?

Durch die Legalisierung würde der Schwarzmarkt immer weiter austrocknen. Dies braucht zwar Zeit, aber gerade beziehen noch 100 Prozent der Konsumenten Cannabis aus illegaler Quelle. Mit der Legalisierung würde dieser Prozentsatz immer weiter sinken. Vor allem durch ein flächendeckendes Angebot könnte dieser zusehends kleiner werden. Wir haben Beispiele aus anderen Ländern wie Kanada, Portugal, Uruguay und den Niederlanden, wo wir ablesen können, was gut umgesetzt wurde und wo noch Schwachstellen erkennbar sind.

Der Anbau von Cannabis ist oftmals nicht nachhaltig

Gibt es einen Fakt, der bisher noch vernachlässigt wird?

In Zeiten des Klimawandels sollte beachtet werden, dass Cannabis, besonders aus einem Indoor Anbau eine sehr schlechte CO2-Bilanz hat. Dies sollte in Entscheidungen, welche Form des Anbaus erlaubt wird, aber auch in die persönliche Konsumentscheidung, einfließen.

Mit dem Gesetz soll es erlaubt sein, bis zu zwei Cannabis-Pflanzen pro Person zu halten. Wie schätzen Sie das ein?

Wenn jemand Spaß an der Pflege solcher Pflanzen hat, soll er sich daran probieren. Ich sehe auch kein Problem darin, dass sich dadurch ein neuer Schwarzmarkt entwickeln könnte, der private Verkauf von Cannabis bleibt weiterhin illegal. Wie genau die Legalisierung umgesetzt wird, wird sich noch zeigen. Es wird auf jeden Fall ein laufender Prozess sein, der sich mit der Zeit bewähren muss.

Zur Person

Der Experte und Kulturwissenschaftler Tim Berthold leitet die Fachstelle für Suchtprävention der anonymen Drogenberatung der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Weser-Ems Trialog GmbH in Delmenhorst. Er arbeitete in der Unterarbeitsgruppe (UAG) Cannabis der AWO, im Fachausschuss Prävention der Deutschen Hauptstelle für Suchtanfragen (DHS) und dem Arbeitskreis (AK) Cannabisregulierung der Niedersächsische Landesstelle für Suchtanfragen (NLS) an Positionspapieren zur Cannabislegalisierung mit.

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