Jurist Andreas Bovenschulte fragt sich, ob wir es mit dem Rechtsschutz nicht manchmal übertreiben. Seit August 2019 ist der SPD-Politiker Regierungschef von Bremen.Foto: Schlie Jurist Andreas Bovenschulte fragt sich, ob wir es mit dem Rechtsschutz nicht manchmal übertreiben. Seit August 2019 ist der SPD-Politiker Regierungschef von Bremen. Foto: Schlie
Interview

„Da wollen wir draufsatteln“

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Bürgermeister Andreas Bovenschulte über Startups, Stimmung und Behörden

Weser Report: Herr Bovenschulte, Sie haben in den letzten Monaten und Wochen zu vielen Bürgersprechstunden und Bürgerversammlungen eingeladen. Wie ist die Stimmung in Bremen?

Andreas Bovenschulte: Durchwachsen, würde ich sagen. Viele Menschen machen sich natürlich Sorgen. Aber trotzdem spüre ich einen gewissen Grundoptimismus, dass wir gemeinsam gut durch die Krise kommen. Im Mittelpunkt der Bürgergespräche standen vor allem die konkreten Probleme vor Ort, wie zum Beispiel Verkehr oder Müll. Hier erwarten die Bürgerinnen und Bürger konkrete Antworten von der Politik.

Kein Misstrauen gegenüber Politikern, gegenüber dem Staat?

Nein, das nehme ich nicht so wahr. Zu den Bürgerversammlungen in den Stadtteilen kommen häufig 250 bis 300 Menschen. Das halte ich für ein gutes Zeichen. Klar wird da auch mal kräftig Dampf abgelassen, aber das ist doch besser als zu hören: Hat eh alles keinen Sinn. Sehr positive Rückmeldungen bekomme ich übrigens zurzeit für die Freikarte für Kinder und Jugendliche. Da haben offenbar viele den Eindruck, dass die Politik mal ganz konkret was für sie tut.

Vor der Bürgerschaftswahl 2019 sagten Sie: Es ist wichtig, in Bremen den gesellschaftlichen Zusammenhalt wieder herzustellen. Wie weit ist Bremen damit?

In der Corona-Krise hat sich gezeigt, dass Bremen gesellschaftlichen Zusammenhalt kann. Die erfolgreiche Impfkampagne war ein Ausdruck davon. Natürlich waren die letzten drei Jahre nicht leicht, aber wenn ich mir zum Beispiel die aktuelle Entwicklung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes angucke, dann muss ich feststellen: Bremen ist bisher erstaunlich gut durch die Krise gekommen.

In der Stadt Bremen liegt die Arbeitslosenquote bei 9,5 Prozent, in Bremerhaven bei 13,4 Prozent, in Hamburg aber nur bei 6,9 Prozent und in Deutschland insgesamt bei 5,3 Prozent. Wo ist da der Erfolg?

In den letzten Monaten hat die Zahl der Erwerbstätigen im Land Bremen trotz Krise mit über 440.000 einen neuen historischen Höchststand erreicht. Es gibt rund 25.000 Jobs mehr als vor zehn Jahren. Das zeigt: Wir sind bei der Bewältigung des wirtschaftlichen Strukturwandels ein gutes Stück vorangekommen. Wir hatten zu Zeiten der großen Koalition in Bremen ja schon mal eine Arbeitslosenquote von fast 17 Prozent, da sind die aktuellen Werte eine wesentliche Verbesserung. Aber zurücklehnen können wir uns natürlich nicht. Der weitere Abbau der Arbeitslosigkeit bleibt ein zentrales politisches Ziel.

Was kann die Politik tun?

Wir werden insbesondere unsere industriellen Kerne weiter stärken: Stahl, Auto, Luft- und Raumfahrt sowie unsere Häfen. Wir unterstützen unsere Hütte bei der Umstellung von Kohle auf grünen Wasserstoff und sichern so 3.000 Arbeitsplätze. Wir bauen das Netz an Ladesäulen für Elektro-Autos aus und werden zur E-Mobility-City. Wir fördern umweltfreundliches und CO2-neutrales Fliegen. Und wir haben einen Zukunftsplan für unsere Häfen beschlossen und engagieren uns bei der Entwicklung einer nationalen Hafenstrategie. Außerdem wollen wir draufsatteln bei der Förderung von Unternehmensgründungen.

Welche Hilfen planen Sie?

In dem kürzlich beschlossenen Drei-Milliarden-Paket des Senats sind auch zusätzliche Mittel für Startups vorgesehen. Außerdem wollen wir mehr Fachkräfte für die Transformation der Wirtschaft gewinnen und die Aus- und Weiterbildung deutlich verbessern.

Wie will Bremen die drei Milliarden Euro zurückzahlen, zusätzlich zum Bremen-Fonds mit 1,2 Milliarden Euro?

Zins und Tilgung müssen wir aus dem regulären Haushalt bezahlen. Das wird anstrengend, keine Frage, aber entscheidend ist doch: Wenn wir jetzt nicht in Innovation und Klimaschutz investieren, wird es am Ende noch viel teurer. Wir können es uns zum Beispiel schlicht nicht leisten, dass unser Stahlwerk dicht macht.

In der Pandemie hat Bremen schnell und unkompliziert gehandelt, lobt die Handelskammer und fragt, warum das nicht immer so läuft?

Unser Anspruch ist, dass der öffentliche Dienst seine Aufgaben schnell, pragmatisch und unbürokratisch erfüllt. Da gibt es unbestritten noch Luft nach oben. Eine wichtige Rolle wird dabei die weitere Digitalisierung von Verwaltungsvorgängen spielen. Und wir müssen uns fragen, ob wir es mit dem Rechtsschutz nicht manchmal übertreiben. Es kann doch nicht sein, dass zentrale Infrastrukturprojekte für Wirtschaft und Gesellschaft durch Einzelinteressen jahrelang blockiert werden.

Bremen muss mehr für die Bildung tun, auch das haben Sie vor der Bürgerschaftswahl 2019 gesagt. Im Vergleich mit anderen Bundesländern liegt Bremen aber immer noch im unteren Drittel. Was läuft schief?

Von allen Bundesländern haben wir die mit Abstand schwierigsten demografischen und sozialen Ausgangsbedingungen. Deshalb müssen wir uns besonders anstrengen: Wir haben zum Beispiel die Bildungsausgaben in den letzten Jahren deutlich erhöht, iPads für alle Schüler angeschafft und ein Institut für Qualitätsentwicklung gegründet. Der entscheidende Punkt ist zur Zeit aber ein anderer: Wie bekommen wir ausreichend pädagogische Fachkräfte? Da begrüße ich sehr den Aktionsplan unserer Bildungssenatorin zur Erleichterung des Seiteneinstiegs und zur Flexibilisierung von Einstellungsvoraussetzungen.

Bei der Bürgerschaftswahl im nächsten Mai treten Sie erstmals als Spitzenkandidat der SPD an. Wie bereiten Sie sich darauf vor?

Mich beschäftigt zur Zeit vor allem, wie wir als Gemeinwesen einigermaßen ordentlich durch den Winter kommen. Da mache ich mir über den Wahlkampf im nächsten Jahr noch nicht allzu viele Gedanken.

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