Ob psychische Probleme, Suchtkrankheiten oder Missbrauchsvorfälle: Sie sind allgegenwärtig und werden oftmals totgeschwiegen. Für mehr Sensibilisierung und Aufklärung soll das Projekt „JA ImpleMental“ der Europäischen Union (EU) sorgen. Um das Leben der Kinder und Eltern vor Ort zu verbessern, sollen auf kommunaler Ebene Initiativen unterstützt werden.
Delmenhorst als einzige Kommune bundesweit
„Nach langjähriger Mitarbeit in einem beratenden Gremium, im kommunalen Arbeitskreis der Bundeszentrale gesundheitliche Aufklärung wurden wir als einzige deutsche Kommune zur Mitarbeit mit Mitgliedern aus 13 Ländern ausgewählt“, verkündet Dr. Johann Böhmann, Leiter des hiesigen Projektes.
Das Delmenhorster Institut für Gesundheitsförderung (DIG) und der Verein Gesundheit im Kindesalter (GIK) wollen „Awareness“ (Bewusstsein) für das Tabuthema schaffen, wie Böhmann stets betont.
Kinder werden zu Symptomträgern
„Allein in Deutschland sind mehrere Millionen Kinder davon betroffen, dass ihre Eltern psychisch erkrankt sind und/oder an einer Sucht leiden“, klärt Böhmann, ehemaliger Chefarzt der Delmenhorster Klinik für Kinder- und Jugendmedizin auf.
„80 Prozent der Kinder werden zu Symptomträgern und werden dann in der Kita oder in der Schule auffällig“, ergänzt Dr. Susanne Pöchmüller, Kinder- und Jugendpsychologin und Chefärztin am Wichernstift. „Die Lehrer sehen zuerst nur das Kind, welches für Unruhe im Klassenzimmer sorgt oder in seiner Leistung immer weiter abnimmt“, so Pöchmüller. „Dass hinter dem auffälligen Heranwachsenden ein oder zwei Elternteile stehen, die eigentlich Hilfe bräuchten, ist zunächst gar nicht sichtbar,“ fügt sie hinzu. Deshalb bräuchten nicht nur die Kindern sondern auch deren psychisch- oder suchtkranke Eltern einen Therapieplatz. Die Behandlung des Kindes sei nur so erfolgreich wie das Umfeld, in das es letztendlich zurückkehre.
Schaffung einer Landkarte mit Hilfsangeboten
Linda Dervishaj unterstützt das Delmenhorster Team als wissenschaftlichen Mitarbeiterin und Koordinatorin für die Projektdauer von 18 Monaten. „Aufklärung muss geschaffen werden. Nicht nur bei Erziehern, bei Ärzten und Therapeuten, sondern auch bei den Betroffenen“, sagt Dervishaj. Die Themen rund um psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und Traumata, sowie Suchterkrankungen müssten enttabuisiert werden.
„Zurzeit führen wir eine Situations- und Bedarfsanalyse durch. Im nächsten Schritt wollen wir eine Landkarte erstellen, damit das Hilfsangebot transparenter gemacht wird“, führt Dervishaj aus. Diese Landkarte soll dann alle Hilfsangebote und Anlaufstellen in Delmenhorst auflisten. Bis Ende März werden also Interviews mit Ärzten und Therapeuten geführt, um ein Netzwerk aufzubauen, das die Betroffenen auffangen kann. Das Netzwerk dient aber auch zum Austausch untereinander.
Dervishaj denkt noch weiter: „Die Polizei und die Feuerwehr sind direkt vor Ort, wenn etwas passiert. Deshalb müssen sie für das Thema ebenfalls sensibilisiert werden, damit den Betroffenen schneller geholfen werden kann.“
Lücken für Therapieplätze schließen
Bisher müssen Hilfesuchende bis zu acht Monate auf einen Therapieplatz warten – Zeit, die viele nicht haben. „Diese Lücken müssen gefüllt werden. Kinder fragen im Durchschnitt sieben bis achtmal um Hilfe, bis sie letztendlich wirklich gehört werden und ihnen geholfen werden kann“, weiß Böhmann. Doch auch dann sei es oftmals nicht ganz klar, wer für diesen Fall zuständig ist, so Pöchmüller. Das müsse geändert werden.
Nach Ende des Projektes soll die Unterstützung für betroffene Familien vor Ort deshalb nicht abrupt enden. Böhmann, Pöchmüller und Dervishaj sind zuversichtlich, dass sie etwas Anhaltendes aufbauen können.
Falls jemand Hilfe sucht, nicht weiter weiß oder mehr über das Projekt erfahren will, kann man sich per E-Mail (linda.dervishaj@d-i-g.de) an Dervishaj wenden. Alternativ besteht die Möglichkeit, das DIG telefonisch (04221/9 81 38 33) oder per Mail unter info@d-i-g.de zu kontaktieren.