Die Anzahl der Opfer Häuslicher Gewalt hat 2022 im Vergleich zu 2021 um 8,5 Prozent zugenommen. Statistik: BKA
Statistik

Wenn Liebe zu Gewalt wird

Von
Veröffentlichte Zahlen des Bundeskriminalamtes zeigen einen Anstieg von 8,5 Prozent

Die dokumentierten Fälle für häusliche Gewalt in Deutschland hat laut den jüngst veröffentlichen Zahlen des Bundeskriminalamtes (BKA) zugenommen. Demnach gab es 2022 240.547 registrierte Fälle, damit ist die Zahl um 8,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Von diesen Betroffenen sind 71,1 Prozent weiblich (171.076) und 28,9 Prozent männlich (69.471)

Zum Überbegriff „häusliche Gewalt“ zählt die Partnerschaftsgewalt und die innerfamiliäre Gewalt von und gegen Eltern, Kinder, Geschwister und Angehörige.

„Die deutlich gestiegenen Zahlen zeigen die traurige Realität: Gewalt gegen Frauen ist ein gesamtgesellschaftliches und alltägliches Problem“, bedauert Bundefamilienministerin Lisa Paus die aktuelle Statistik.

Zahlen für Delmenhorst

Die Anzahl der Opfer Häuslicher Gewalt liegt in Delmenhorst bei insgesamt 238 Fälle. Statistik: Polizeiinspektion Delmenhorst/Oldenburg-Land/Wesermarsch

„Mit Wirkung für das Jahr 2022 hat sich die Definition für Häusliche Gewalt geändert. Auf Grund dessen ist ein Vergleich mit den Zahlen aus dem Jahr 2021 nicht möglich“, so die Pressesprecherin Natalia Schubert der Polizeiinspektion Delmenhorst/Oldenburger-Land/Wesermarsch. Die Zahlen aus 2022 für Delmenhorst zeigen insgesamt 238 Fälle. Davon sind 64 Fälle innerhalb der Familie gemeldet und 141 innerhalb einer (Ex-)Partnerschaft gemeldet worden. Die Zahl der weiblichen Opfer ist dabei immer maßgeblich höher als die der männlichen.

„Gewalt im engsten Umfeld betrifft viele Frauen, aber auch Kinder oder Pflegebedürftige. Gewalt fängt auch nicht erst mit Schlägen oder Misshandlungen an, es geht auch um Stalking und Psychoterror“, äußert sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

Die Rolle der Polizei

In Zukunft will die Regierung Betroffene darin bestärken, Delikte dieser Art zur Anzeige zu bringen. Doch dafür brauchen sie die Unterstützung der Polizei. „Zu einer besseren Prävention gehört eine verstärkte Aus- und Fortbildung in der Polizei, um bei Taten schnell und sensibel zu reagieren. Gewalttäter dürfen nicht schnell wieder vom Radar verschwinden. Sie müssen nach dem ersten gewaltsamen Übergriff aus der Wohnung verwiesen werden“, skizziert Faeser die zukünftigen Pläne.

Laut Schubert richtet sich das polizeiliche Eingreifen bei häuslicher Gewalt nach den gesetzlichen Bestimmungen aus dem Niedersächsische Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (NPOG). „Es gilt zunächst das Motto ‚Wer schlägt, der geht‘. Demnach werden die Täter oder Täterinnen nach einem gewaltsamen Übergriff für einen bestimmten Zeitraum, den die Polizei nach eigenem Ermessen festlegt, aus der Wohnung verwiesen“, erklärt Schubert. In dieser Zeit hätte der oder die Geschädigte Zeit Beratungsangebote wahrzunehmen, eine Gewaltschutzverfügung zu beantragen und eine mögliche Trennung durchzuführen. Während der Wegweisung des Täters hält die Polizei Kontakt zum Opfer um sicherzustellen, dass der Täter nicht zurückkehrt. Falls dies passiert, wird er oder sie ins polizeiliche Gewahrsam genommen.
Wenn keine Wegweisung von der Polizei ausgesprochen werden kann, können Frauen im Frauenhaus aufgenommen werden. Sollte das Opfer den Täter zurück in die Wohnung lassen, erlischt die Wegweisung.

Dunkelfeldstudie geplant

Ebenfalls ist eine Dunkelfeldstudie geplant, wie der Präsident des Bundeskriminalamtes Holger Münch verrät. Im Rahmen dessen soll eine gute Datenlage geschaffen werden, die Aufschluss über die Betroffenen sowie Täter und Täterinnen bringen soll.

„Viele Opfer von häuslicher Gewalt möchten aber keine keine Anzeigenerstattung oder Kontakt zur Polizei und wenden sich direkt an Opferhilfeeinrichtungen wie zum Beispiel den Weissen Ring. Andere Opfer häuslicher Gewalt können sich selbst oder mit Unterstützung von Freunden und Bekannten helfen und benötigen weder Unterstützung von Polizei oder Opferhilfeeinrichtungen“, erklärt Axel Klitte, Leiter der Außenstelle des Vereins Weißer Ring in Delmenhorst.

Die Lage der Frauenhäuser

„Nicht zuletzt muss man leider auch immer wieder auf die riesige Zahl von 14.000 fehlenden Plätzen in Frauenhäusern hinweisen“, so Christa Stolle, Bundesgeschäftsführerin von TERRE DES FEMMES. „Diese wären nicht einmal eine dauerhafte Lösung für den Wohnraummangel, der Frauen besonders trifft, die einen Gewalttäter verlassen wollen, aber sie sind in akuten Situationen enorm wichtig – und können Leben retten.“

Paus erklärt, dass in Zukunft Baumaßnahmen für weitere Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen finanziell noch weiter gestärkt werden sollen. Damit soll ein flächendeckendes, niedrigschwelliges Unterstützungsangebot geschaffen werden.

In Delmenhorst gibt es derzeit ein Frauenhaus, das Platz für sechs Frauen mit ihren Kindern bietet und von der Arbeiterwohlfahrt (AWO Kreisverband Delmenhorst) geleitet wird. Außerdem ist dieses barrierefrei, sodass auch Frauen und Kinder mit körperlicher Einschränkung dort Schutz finden können. „Das Haus ist sehr oft voll belegt, wodurch schutzsuchende Frauen abgewiesen werden müssen. Alleine in diesem Jahr konnte bisher 111 Frauen kein Schutz gewährt werden. Laut Empfehlung des Europarates vom 21. Juni 2006, die einen Frauenhausplatz pro 7.500 Einwohner fordert, müsste die Stadt Delmenhorst eigentlich elf Plätze vorhalten“, erklärt die Einrichtungsleiterin Birgit Sikken. Die nächsten Frauenhäuser befinden sich in Wildeshausen und Oldenburg.

Mehr Mut der Betroffenen

Ursachen für den Anstieg können nur gemutmaßt werden. Die Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz veröffentlicht dazu folgendes: „Fest steht, dass häusliche Gewalt ein gesamtgesellschaftliches Problem ist und stärker präventiv, aber auch repressiv angegangen werden muss. Für die Ursachen gibt es jedoch keine gültigen Belege. Womöglich sind durch die öffentliche Debatte über häusliche Gewalt nach den Corona-Lockdown-Phasen inzwischen mehr von häuslicher Gewalt Betroffene ermutigt, sich zu melden. Weil dafür besser sensibilisiert wurde, könnten sich mehr Menschen Hilfe geholt und sich an die Polizei gewendet haben. Dass gewaltbetroffene Männer aktiver geworden sind, kann auch auf das stetig wachsende Netzwerk für von häuslicher Gewalt betroffene Männer zurückzuführen sein.“

Das ganze, bundesweite Lagebild ist hier zu finden.

Hilfestellen

  • Weißer Ring Telefon: 0160/ 97 59 43 71, E-Mail: delmenhorst@mail.weisser-ring.de oder Webseite delmenhorst-niedersachsen.weisser-ring.de
  • Frauenhaus Telefonnummer für die Aufnahme: 04221/968181; Telefonnummer für die Gewaltschutzberatungsstelle 04221/96 81 82
  • Meracon (Jungen- und Männerkriseninterventionsstelle) Telefon: 04221/9 81 36 47, Anlaufstelle an der Lange Straße 111
  • Opfertelefon 116 006
  • Hilfetelefon Gewalt an Männern 0800/1 23 99 00

 

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren...

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner