Kinder- und Bildungssenatorin Sascha Aulepp (SPD) und Cornelius Neumann-Redlin, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände im Lande Bremen, trafen sich zum Gespräch über Aulepps umstrittene Aussagen zur Kinderbetreuung.Foto: Lürssen
Streitgespräch

Reizwort Flexibilität

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Sascha Aulepp und Cornelius Neumann-Redlin diskutieren über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Aulepp: Mein Satz „Aber der ständige Ruf nach immer längeren Öffnungszeiten in den Kitas, während Arbeitgeber unflexibel bleiben und Väter strikt in Vollzeit arbeiten, ist kinder- und frauenpolitisch unerträglich“, hat zu vielen Turbulenzen geführt. Man merkt beim „Aber“ schon, dass da vorweg noch etwas gekommen ist. Wir brauchen längere Öffnungszeiten und vor allem auch mehr Verlässlichkeit, die Personaldecke ist auf Kante genäht, aber meine höchste Priorität ist, dass jedes Kind einen Kitaplatz bekommt. Dafür trage ich die politische Verantwortung. Mir ging es darum, zu sagen, dass Vereinbarkeit von Familie und Beruf eben mehrere Seiten hat. Die Lücke bei der Kindertagesbetreuung zu schließen ist ganz wichtig, wenn man die einzelnen Kinder in den Blick nimmt. Es ist auch ganz wichtig, wenn man in den Blick nimmt, wie man Müttern und Vätern Erwerbstätigkeit ermöglichen kann.

Neumann-Redlin:  Was in der Wirtschaft zur Verärgerung geführt hat, war die sehr deutliche Aussage „Die Wirtschaft ist unflexibel“. Das trifft die Situation in der Wirtschaft nicht annähernd. Wir alle wissen, dass die größte Herausforderung für die Wirtschaft ein sich an allen Ecken zeigender eklatanter Fachkräftemangel ist. Vor diesem Hintergrund haben die meisten Unternehmen bereits reagiert oder sind dabei, sich auf den Weg zu machen. Sie müssen sich für flexible Modelle öffnen, weil sie sonst nicht genügend Leute finden. Ein zweiter Punkt, der zur Verärgerung führte: Der Staat hat eine Garantie ausgesprochen, ausreichend Kitaplätze zur Verfügung zu stellen. Und der Staat hat diese Zusage nicht eingehalten.

Aulepp: Jedes Kind hat einen Anspruch auf einen Kitaplatz. Dafür muss und will ich auch sorgen. Da müssen wir die nötigen Kräfte finden, damit die Räume, die wir jetzt baulich geschaffen haben mit Gruppen gefüllt werden können. Und da frage ich: Müssen wir angesichts des Fachkräftemangels in der Kita nicht auch Menschen in Kitas reinholen und da berufsbegleitend weiter qualifizieren? Ich glaube das ist ein Weg, auf den wir uns machen müssen, um diese Lücke schnellstmöglich zu schließen. Wir brauchen auch mehr Ausbildung, aber wir können nicht warten, bis wir alle Fachkräfte grundständig ausgebildet haben.

Neumann-Redlin:  Wo wir Sie jederzeit unterstützen, ist die Idee, mehr Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger zu akquirieren. In der Wirtschaft haben wir auch nicht immer Bewerber, die in Bezug auf Qualifikation und Berufserfahrung genau den Anforderungen entsprechen. Da schauen wir dann auch, ob es möglich ist, Quereinsteiger mit einer entsprechenden Einarbeitung einzubinden. Natürlich wissen wir, dass es etwa von den Gewerkschaften mitunter Vorbehalte gibt, aber vielleicht muss man auch da etwas flexibler denken. Beispielsweise bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse: Warum soll eine Erzieherin, die jahrelang in Syrien, dem Irak oder in Afghanistan Kinder betreut hat, das nicht auch in Deutschland machen können? Noch ein Aspekt: Wir spüren eine gewisse Zurückhaltung aus Ihrem Haus gegenüber Betriebskitas. Ich weiß von vielen Firmen, dass die das gerne anbieten würden. Es scheitert dann aber häufig an Dingen, die nicht im Unternehmen liegen.

Aulepp: An dieser Stelle könnte man überlegen, ob Betreuungsangebote möglicherweise auch ergänzend anders gestrickt werden können, auch mit anderem Personal. Es muss ja nicht unbedingt eine institutionelle Betriebskita als Kindertagesbetreuungseinrichtung sein. Es hilft ja möglicherweise Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, wenn sie eine Betreuungsmöglichkeit haben. So wie bei den Pöksen in der Knochenhauerstraße, wo das Studierende machen. Das ist dann nicht das, was Kinder in der Kita an frühkindlicher Bildung mitbekommen, an sozialer Teilhabe, aber es ist etwas, das die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen würde.

Neumann-Redlin:  Bevor hier zu viel Einigkeit einkehrt: Ich finde gut, dass Sie mit Ihrem Thesenpapier die Diskussion versachlicht haben. Dennoch gibt es darin einige Punkte, bei denen man deutklich unterschiedlicher Meinung sein kann. Das betrifft zum Beispiel die Reduzierung der Vollarbeitszeit zeit mit entsprechendem Lohnausgleich oder auch den Gender Pay Gap.

Aulepp: Die Frage ist, wie organisiert man die Betreuungseinrichtungen und die Arbeitswelt so, dass sie den Bedürfnissen der Eltern wie Kindern gerecht werden. 100 Prozent der Mütter nehmen Elternzeit, aber nur zehn Prozent der Väter. Auch die Teilzeitquote ist bei Frauen viel höher. Es gibt nach wie vor Arbeitgeber mit der Idealvorstellung, dass die Mitarbeitenden rund um die Uhr für sie zur Verfügung stehen sollen.

Neumann-Redlin: Kenne ich.

Aulepp: Es ist die staatliche Verantwortung dafür zu sorgen, dass Kinder kein Armutsrisiko sein dürfen. Wenn wir sagen, es gibt so etwas wie eine Kindergrundsicherung, dann muss sie auch auskömmlich sein. Und da ist die Frage, warum verdienen Frauen eigentlich weniger als Männer? Das hat etwas mit Qualifizierungen zu tun. Das hat aber auch etwas mit unterschiedlichen Wertigkeiten von Tätigkeiten zu tun. Das ist etwas, worüber man gesamtgesellschaftlich diskutieren muss. Da ist auch die Wirtschaft gefordert.

Neumann-Redlin:  Das Thema Kindergrundsicherung klammern wir lieber aus. Das ist kein bremisches Thema und da hätte ich tatsächlich eine andere Auffassung als Sie. Armutsbekämpfung wird nicht funktionieren über eine Erhöhung von Transferleistungen. Da hilft es mehr, wenn man dafür sorgt, dass man Eltern aus armutsgefährdeten Familien so schnell wie möglich in Beschäftigung bringt. Um das zu ermöglichen, braucht man die Kitaplätze.

Aulepp: Da bin ich Ihrer Ansicht. Und ich kenne Ihr Engagement für den Kinderschutzbund und weiß, dass Sie wie ich kein Kind zurücklassen wollen. Bei allen Meinungsunterschieden, die wir auch haben, ich freue mich auf die weiteren Gespräche mit Ihnen.

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