Annabel Oelmann leitet seit April 2016 die Verbraucherzentrale Bremen. Die gelernte Bankkauffrau und studierte Wirtschaftsjuristin wurde 2008 von der Universität Osnabrück im Bereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften promoviert.Foto: Schlie
Interview

Wenn das Geld nicht mehr reicht

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Annabel Oelmann von der Verbraucherzentrale spricht im Interview über Info-Lotsen und Budget-Beratung.

Weser Report: Was stellen Sie bei Ihren Beratungen fest: Wie wirkt sich die Inflation auf die Gesellschaft aus?

Annabel Oelmann: Seit Corona hat es viele schon getroffen, weil sich die Einnahmeseite verändert hat. Die Leute waren in Kurzarbeit, Eltern mussten ihre Nebenjobs aufgeben, um die Kinder zu betreuen. Nicht jeder steht nach Corona wieder da wie vor Corona. Und dann kam die Energiepreiskrise mit Inflation oben drauf. Das hat dazu geführt, dass alle Menschen, die früher mit Hängen und Würgen – mal besser und mal schlechter – aber irgendwie immer zurecht gekommen sind, auf einmal merken, dass das Geld nicht mehr reicht. Das ist eine neue Situation, die wir in der Breite so noch nicht erlebt haben.

Zu diesem Thema ist Mitte Juli die Bremer Info-Lotsen-Kampagne gestartet. An wen richtet sie sich und welche Informationen kann man von den Lotsinnen und Lotsen bekommen?

Sie richtet sich an alle Bremerinnen und Bremer, die merken, dass sie mit den Geld nicht mehr auskommen und die auch nicht wissen, wer für sie zuständig ist. Könnten mir Hilfsleistungen zustehen? Welche Beratungsangebote gibt es? Wo kann ich wen fragen? Diese Menschen können sich jetzt in den Quartieren an die Info-Lotsinnen und Info-Lotsen wenden. Es gibt auch eine Hotline montags bis freitags, wo man kostenlos und vor allem anonym anrufen kann.

Wie helfen die Info-Losten?

Sie informieren darüber, welche Möglichkeiten es grundsätzlich gibt, ob eventuell eine Anspruchsmöglichkeit bestehen könnte und an wen man sich wenden kann. Die Info-Lotsen dürfen nicht beraten. Das ist eine ganz wichtige Unterscheidung. Sie können nicht verbindlich mit mir klären, ob ich Wohngeld erhalte oder Anspruch auf Kinderzulage habe. Was auch schon vielen Menschen hilft: Die Info-Lotsen wissen, welche anderen kostenlosen Angebote es in Bremen gibt und können die Betroffenen weiter vermitteln. Was ist die kostenlose Budget-Beratung der Verbraucherzentrale? An wen kann ich mich wenden, wenn die Strom-Sperre schon angedroht wird? Oder wie kann ich mich von anderen Kosten befreien, etwa Rundfunkgebühren.

Die ersten Lotsinnen und Lotsen sind in Gröpelingen, Obervieland, Schweizer Viertel, Vegesack und der Vahr aktiv. Folgen weitere Quartiere?

Ja. Aktuell ist gerade noch Kattenturm im Aufbau. Wir hoffen, dass noch ein paar andere Quartiere hinzukommen und dass sich die Öffnungszeiten noch etwas optimieren lassen.

Wie kann ich mich informieren, wenn ich außerhalb der genannten Quartiere wohne?

Der wichtigste erste Weg ist immer, die Hotline anzurufen. Da bekomme ich die gleichen Auskünfte wie vor Ort. Auch bei der Hotline haben die Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit, ausführlichere Beratungen zu vermitteln, etwa kostenlose persönliche oder telefonische Budget-Beratungen bei der Verbraucherzentrale.

Was passiert bei den Budget-Beratungen?

Da ist der echte Kassensturz das A und O. Deshalb lohnt es sich mit dem Ordner zu kommen oder auch mit dem Wäschekörbchen. Wir sortieren: alle Einnahmen, alle Ausgaben. Dann alle Positionen durchgehen. Am besten sollte man auch mehrfach in die Beratung gehen, damit man in Monatsschritten kleine To-dos erledigt. Dadurch wird das erst händelbar. Bei den meisten Haushalten ist etwas einzusparen.

Haben Sie Beispiele?

Versicherungsverträge, die kein Mensch braucht. Versicherungsverträge, die monatlich laufen, wo man alleine schon sparen kann, wenn man die Zahlweise ändert. Abos, wo man verzweifelt überlegt, was habe ich mir damals dabei gedacht? Es gibt häufig kleine Dinge, wo ich noch nicht einmal auf etwas verzichte, ich mir aber etwas Bewegungsraum schaffe, damit ich doch alle halbe Jahr mal ins Kino gehen kann.

Wie ist die Verbraucherzentrale zur Info-Lotsen-Kampagne gekommen?

Wie die Jungfrau zum Kinde. Irgendwann haben wir erfahren, dass wir da eingeplant sind. Das ist ein Themengebiet, mit dem wir ursprünglich gar nichts zu tun haben. Die Verbraucherzentrale macht klassische Verbraucherberatung: Wir haben einen Anbieter, wir haben einen Verbraucher. Irgendwas zwischen den Beiden lief nicht gut. Deshalb gibt es ein Problem. Der Weg zu den Sozialleistungen ist keiner, den wir klassisch gehen, das ist kein Bereich wo wir uns auskennen. Das mussten wir erst lernen.

Wie lange läuft das Angebot?

Es ist aktuell befristet und durch die Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz finanziert bis zum 31.12.2023.

Finden Sie für so einen kurzen Zeitraum überhaupt Mitarbeitende?

Viele, die wir bekommen haben, sind Studierende oder Rentner, die Lust haben nochmal richtig, was zu machen. Niemand, der vorher Vollzeit gearbeitet hat, kündigt seinen Job und macht mal für sechs Monate den Lotsen. Trotzdem sind wir sehr dankbar, dass es so gut geklappt hat und dass wir so viele Lotsen am Start haben.

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