Ein imposanter großer Schalter wurde vor den Augen der Öffentlichkeit zwar nicht umgelegt, dennoch: Das Knistern und Brummen beim Umspannwerk Ganderkesee ist unmissverständlich. Die neue 61 Kilometer lange 380-kV-Höchstspannungsleitung von der Gantergemeinde bis nach St. Hülfe bei Diepholz ist am vergangenen Mittwoch in Betrieb genommen worden und befördert grün erzeugte Windenergie von der Nordsee in die Industriezentren in Hessen und Bayern. Damit schließt die Trasse eine Lücke im Nord-Süd-Transport von erneuerbaren Energien. 3,3 Gigawatt Strom können durch die kraftvollen Adern fließen, was einer Kapazität von zwei Großkraftwerken entspricht. Schon im Februar legte ein erster Stromkreis der Leitung los und „pumpte“ an einem Wochenende 1,4 Gigawatt gen Süden.
„Zentrales Projekt der Energiewende“
Es war ein besonderes Vorhaben des Übertragungsnetzbetreibers Tennet, ein Pilotprojekt für Erdverkabelung im Drehstrombereich, das sich über 20 Jahre hinzog. 13 Kilometer der Trasse bestehen aus Erdkabelabschnitten, es gibt 125 Freimasten, vier Kabelübertragungsanlagen, und das Umspannwerk Ganderkesee wurde erweitert. Die Planung für das Projekt habe Tennet lange beschäftigt, so der CEO Tim Meyerjürgens. „Wir haben hier gesehen, wie kompliziert und langwierig Genehmigungsverfahren für Infrastruktur in Deutschland sind.“ Allerdings habe man auch viel gelernt und wichtige Erkenntnisse gewonnen; insbesondere die Kombination von Freileitungs- und Erdkabelabschnitten konnte damit erfolgreich umgesetzt werden.
2017 begann der Bau der Leitung, die Meyerjürgens als „zentrales Projekt der Energiewende“ bezeichnet. Als wichtige Nord-Süd-Achse bringe sie erneuerbare Energie Richtung Süden und verringere somit deutlich die Abschaltung von Windenergieanlagen.
Einbindung aller Beteiligten
„Wir haben eine Lernkurve hinter uns“, erklärte auch Tennet-Teamleiterin Inga Wilken. Man habe Gesetze kommen und gehen sehen, technische Entwicklungen mussten in das Projekt integriert werden, hinzu kamen Veränderungen im Personal. Hinsichtlich der Projekt-Kommunikation stellte Tennet schnell fest: Ein formales Beteiligungsverfahren reicht nicht. So entwickelte der Netzbetreiber neue Formate, um alle Beteiligten frühzeitig in den Diskurs einzubinden und mitzunehmen. Auch diese Erkenntnisse würden in künftige Projekte einfließen.
„Viele dachten, das wird nichts, das kann nicht umgesetzt werden“, meinte Tennet-Programmdirektorin Maren Bergmann hinsichtlich der langen Projektdauer und schwierigen Planungsphase. Das Vorhaben sei anfangs auf reichlich Widerstand aus der Bevölkerung gestoßen. „Wir brauchten viel Ausdauer, um alle Betroffenen mit ins Boot zu holen“, so Bergmann. Zudem könnten Erdkabel bei Höchstspannungsleitungen zwar in Teilbereichen eine Lösung sein, aber mit „deutlichen Nachteilen im Netzbetrieb“ keine allgemeingültige. Die Leitung Ganderkesee-St. Hülfe sei ein „richtiger und wichtiger Schritt in der Energiewende“, der aber noch nicht abgeschlossen sei.
Sorgen und Lösungen
Kontroverse Diskussionen und nachvollziehbare Bedenken habe es in der Gemeinde Ganderkesee gegeben, wie Bürgermeister Ralf Wessel einräumte. Flächenversiegelung, eine Veränderung des Landschaftsbildes, die Nähe zu Wohnbebauung – viele Punkte machten den Menschen Sorgen. Eine zufriedenstellende Lösung für alle zu finden, sei schwer. Tennet habe allerdings alle Beteiligten und die Gemeinde immer aktiv mitgenommen und gehört. „Das ist nicht alltäglich“, so Wessel. So habe Ganderkesee mit dem Pilotprojekt „maßgeblich an der Umsetzung des Niedersächsischen Erdverkabelungsgesetzes mitgewirkt“.
Landrat Christian Pundt verwies auf die Wichtigkeit der Versorgungssicherheit, zu der die neue Trasse einen gehörigen Teil beiträgt. Laut Gesetzentwurf des Landes Niedersachsen muss der Landkreis Oldenburg 2,7 Prozent seiner Flächen für Windkraftanlagen vorhalten, derzeit sind es ein Prozent. Und auch bei der Verstromung von Biogasanlagen sei eine sichere Versorgung wichtig. Zudem habe der Landkreis ein Blackout-Szenario erstellt. Fazit: „Wir müssen uns noch besser darauf einstellen.“ Pundt zeigte sich darüber hinaus überzeugt, dass der Punkt Versorgungssicherheit auch bei der Ansiedlung von neuen Unternehmen eine große Rolle spielen kann.
Ein eigener Ganter für Tennet
Um die Nähe des Netzbetreibers zur Region zu unterstreichen, ziert übrigens künftig eine Ganter-Skulptur den Eingang zum Umspannwerk. Angefertigt wurde das Wappentier, das natürlich eine gelbe Tennet-Jacke trägt, von der Ganderkeseer Künstlerin Lydia Strodthoff. Das Unternehmen unterstützt mit dem Spendenprojekt den Verein „Ganterart“, der sich für soziale Belange einsetzt.