Das Paar in der Nachbarwohnung streitet schon eine Weile lautstark, dann klirrt Glas, die Frau schreit und klingt verängstigt. In der Bahn beleidigen Jugendliche einen älteren Mann, umstellen ihn und verhindern das Aussteigen. Und am Arbeitsplatz ist immer die eine Kollegin Zielscheibe allen Spotts der anderen – solche oder ähnliche Situationen hat wahrscheinlich schon jeder einmal erlebt. Oft hat man das Gefühl, dass nun eingreifen werden müsste. Dazu fehlt aber manchmal der Mut, manchmal will man sich auch selbst nicht in Gefahr bringen. Doch wie wichtig ein überlegtes Einschreiten ist, wird jedes Jahr am 19. September wieder am Tag der Zivilcourage deutlich. Cornelius Ledig von dem Osterholzer Ableger der Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer, Weißer Ring, gibt zum Aktionstag am kommenden Dienstag fünf Tipps für mehr Zivilcourage.
„Es geht bei Zivilcourage nicht immer darum, sich körperlich einzumischen und einzugreifen“, sagt Ledig. „Jeder Mensch kann zivilcouragiert handeln, indem er, aus der Distanz heraus Öffentlichkeit herstellt, oder die Polizei informiert. Wichtig ist, dass gehandelt und nicht weggeschaut wird.“
In Extremsituationen zeige sich Zivilcourage oftmals sehr viel offensichtlicher als im Alltag. „Aber gerade in solchen Momenten geht es darum, laut zu werden und sich für andere stark zu machen. Beleidigungen oder Abwertungen dürfen nicht einfach so toleriert werden“, sagt Ledig. „Zivilcourage bedeutet auch, sich für die eigenen Werte einzusetzen und Verantwortung zu übernehmen.“
Spitzt sich eine Situation zu, gelte immer, sich nicht selbst in Gefahr zu bringen. „Zeuginnen und Zeugen, die eine solche Situation beobachten, sollten sich unbedingt Unterstützung bei anderen Menschen in der Umgebung holen“, erklärt Ledig. „Je mehr Menschen versuchen, die Situation zu deeskalieren, desto schneller kann geholfen werden.“ Konflikte könnten so idealerweise am Anfang ihrer Eskalationsspirale ausgebremst werden, bis die Polizei eintrifft.
Der Weiße Ring stellt fünf Regeln auf, die möglichst beachtet werden sollten:
- Situation genau beobachten, gegebenenfalls aus der Distanz handeln. Sich nicht selbst in Gefahr bringen.
- Die Polizei unter 110 anrufen.
- Möglichst handeln, bevor sich die Situation zuspitzt.
- Andere Passanten aktiv um Mithilfe und Unterstützung bitten.
- Sich um das Opfer kümmern.
Im Jahr 2022 gab es laut Polizeilicher Kriminalstatistik über eine Million Fälle von Straßenkriminalität in Deutschland, darunter rund 61.000 Fälle von gefährlicher und schwerer Körperverletzung. Bei entschlossenem Eingreifen könnten viele solcher Straftaten verhindert werden, ist sich Ledig sicher: „Ich möchte daher allen Mut machen, in Situationen, in denen Zivilcourage gefragt ist, mutig zu sein, zu handeln und damit anderen Menschen zu helfen. Zivilcourage ist wichtig für unsere Gesellschaft und stellt gleichzeitig eine große Herausforderung für jede und jeden Einzelnen dar.“
Die Außenstelle des Weißen Rings in Osterholz-Scharmbeck ist telefonisch unter 0151/23428161 erreichbar. Online unter weisser-ring.de/zivilcourage gibt es weitere Tipps.