Tobias Hayer von der Universität Bremen ist Glücksspielforscher. Lootboxen betrachtet er kritisch. Foto: Kai Uwe Bohn / Universität Bremen Hochschulkommunikation Tobias Hayer von der Universität Bremen ist Glücksspielforscher. Lootboxen betrachtet er kritisch. Foto: Kai Uwe Bohn / Universität Bremen Hochschulkommunikation
Glücksspiel

Es geht um viel Geld

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Glücksspielforscher Tobias Hayer über die Gefahr von Beutekisten in Computerspielen

Weser Report: Was sind Lootboxen und warum sind sie für Nutzer von Videospielen so attraktiv?

Tobias Hayer: Zunächst einmal muss man schauen, wie Computerspiele, die Lootboxen oder Beutekisten enthalten, konzipiert sind. Es ist letztendlich das Geschäftsmodell Free-To-Play/Pay-To-Win. Bedeutet: Es sind meist Computerspiele, die zu Beginn umsonst herunterladbar und spielbar sind. Das ist ein Reiz für junge Leute, die nicht so viel Geld haben, zunächst mal viele dieser Spiele auszuprobieren. Aber dann kommt durch die Hintertür Geld ins Spiel und das mitunter über Lootboxen. Sie können mit vermeintlich wenig Geld – Stichwort „Mikrotransaktionen“ – entweder ihren Spiel-Charakter mit Gegenständen ausrüsten, die gewissen Symbolcharakter oder Statussymbol haben, oder aber einen schnellen Spielfortschritt erkaufen und das ist aus Sicht der Spieler ebenfalls attraktiv.

Können Lootboxen süchtiges Verhalten fördern?

So weit würde ich gar nicht gehen. Ich sehe eher andere Gefahren im Bereich Lootboxen. Zunächst einmal werden damit quasi durch die Hintertür Glücksspiele oder glücksspielähnliche Elemente an sehr junge Leute herangeführt. Da steckt so ein bisschen die Gefahr oder Sorge, dass Glücksspiel normalisiert wird. Junge Leute begegnen damit sehr früh den Mechanismen und Prinzipien des Glücksspiels. Für mich ist die Normalisierung das erste Gefahrenmoment. Das zweite Gefahrenmoment ist, dass hinter diesen Lootboxen natürlich auch Kostenfallen stecken. Da sie oftmals sehr schnell den Überblick über ihre gesamten Einsätze verlieren. Das passiert nochmal schneller, wenn sie die Lootboxen gar nicht direkt erwerben, sondern erstmal eine zwischengeschaltete Währung, also eine „In-Game-Currency“, erwerben. Dieser Zwischenschritt verschleiert Geldwerte und führt dazu, dass der Einblick über die Einsätze schneller verloren gegangen wird. Dann besteht das Risiko, dass Lootboxen zur mittelbaren Gefahr werden. Nämlich, dass sie einen Einstieg in die echte Welt des Glücksspiels erleichtern oder fördern. Gute Studien dafür haben wir noch nicht, aber erste Hinweise.

Sind Ihnen Fälle von jungen Menschen bekannt, die wegen glücksspielähnlichen Elementen in Videospielen mit traditionellem Glücksspiel angefangen haben?

Ja, es gibt Medienberichte, die aufzeigen, dass Personen, die tatsächlich verstärkt Lootboxkäufe getätigt haben, dann Interesse für das Glücksspiel entwickelt und sich dort auch verzockt haben. Das sind aber Einzelfälle. In Deutschland gibt es keine großangelegte Studie, die das bestätigt hat. Es ist bislang nur eine Hypothese. Was wir aber wissen, dass es korrelative Zusammenhänge zwischen dem Kauf von Lootboxen und einem problematischen Computerspiel- oder Glücksspielverhalten gibt. Der naheliegendste Verdacht ist, dass zunächst Lootboxen konsumiert werden und dann sich eine entsprechende Fehlentwicklung beziehungsweise ein problematisches Glücksspielverhalten einstellt. Aber die Gegenhypothese ist auch denkbar. Nämlich, dass Leute sich an Glücksspielen verzocken und deshalb eine gewisse Affinität zu Glücksspielen und zu den Spielanreizen haben. Wenn sie dann auf Lootboxen treffen, entdecken sie diese als zusätzliche Form des Glücksspiels und bleiben auch daran kleben. Auch das ist möglich und bislang nicht in Gänze auszuschließen.

Beeinflussen psychologische Faktoren den Kauf von Lootboxen?

Wenn Sie sich mal anschauen, wie der Kauf von Lootboxen bei FIFA zelebriert wird: Da sind ganz viele spielerische Elemente dabei. Also audiovisuelle Unterlegungen, die an Mechanismen beim Glücksspiel erinnern. Forschungen weisen darauf hin, dass physiologische Aktivierungen damit einhergehen. Die Leute sind angespannt und erregt und diese Aktivitäten kann man neurowissenschaftlich messen. Diese Prozesse und Erlebnissweisen erinnern stark an die bei Glücksspielen.

Was halten Sie davon, dass in Belgien und den Niederlanden das Kaufen von In-Game-Währungen und Lootboxen verboten ist und man sich in Deutschland bisher weigert, Lootboxen als Glücksspiel zu definieren?

Eine Lootbox ist nicht gleich die Andere. Man müsste es für jedes einzelne Spiel definieren und schauen ob die Glücksspielkriterien erfüllt sind. Es ist ein kompliziertes Thema. Der zweite Grund ist, dass die Gaming-Industrie ein mächtiger Wirtschaftszweig ist. Es geht um sehr viel Geld. Es geht letztendlich um Steuereinnahmen. Jegliche Form von deutlichen Restriktionen bis hin zu Verboten, würden dem Staat Geld kosten. Und die Publisher sind einflussreiche Unternehmen, die lobbyistisch agieren. Der dritte Grund ist, dass wir schon hinterfragen müssen, ob Verbote in diesem Kontext, sinnvoll sind. So ein Verbot ist ein erheblicher Eingriff in die Geschäftspraktiken der Publisher. Die werden vor Gericht dagegen klagen. Und dann muss man eine durchaus rechtssichere Argumentationskette haben.

Was ist Ihre Meinung? Sollten Lootboxen reguliert oder verboten werden?

Wenn Sie mich grundsätzlich fragen, dann glaube ich, dass wir mit einem Kompromiss anfangen sollten. Und zwar indem wir den Zugang zu Lootboxen für Minderjährige verbieten. Im nächsten Schritt wäre es sinnvoll, ähnlich wie in Belgien und den Niederlanden, Lootboxen wie Glücksspiele zu regulieren. Dann brauchen die Publisher eine entsprechende Lizenz, die man an sehr scharfe Bedingungen knüpfen kann. Das kann dann auch Richtung Verbot gehen.

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