Prof. Dr. Jens Zinn von der University of Melbourne in Australien ist von Oktober 2023 bis Mai 2024 Fellow (Gast-Wissenschaftler) am Hanse-Wissenschaftskolleg (Institute for Advanced Study), Lehmkuhlenbusch 4 in Delmenhorst.Foto: HWK
Interview

„Wissen besser nutzen“

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Wir sprachen mit Prof. Jens O. Zinn. Er ist seit Oktober 2023 Fellow am HWK in Delmenhorst

Das Hanse-Wissenschaftskolleg (HWK)ist eine gemeinnützige Stiftung der Länder Bremen und Niedersachsen sowie der Stadt Delmenhorst. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Künstlerinnen und Künstler sowie Autorinnen und Autoren aus aller Welt erhalten dort die Möglichkeit, für befristete Aufenthalte, um zu forschen, Recherche zu betreiben und sich untereinander auszutauschen. Das HWK verbindet theoretische Arbeit mit experimenteller Forschung und künstlerischem Schaffen.

Delme Report: Prof. Jens O. Zinn, Sie sind Gast-Wissenschaftler am HWK und erforschen in Kooperation mit der Universität Oldenburg die Risikokommunikation in demokratischen Gesellschaften. Herr Zinn, woran forschen Sie?

Prof. Jens O. Zinn: Mich interessiert, wie Menschen mit Risiken und Unsicherheiten umgehen, beispielsweise aufgrund von globalen Krisen. Das betrifft nicht nur Politikerinnen und Politiker, sondern jeden von uns im Lebensalltag. Angesichts einer unsicheren Zukunft ist gar nicht so klar, um welche riskanten Unsicherheiten wir uns Sorgen machen sollten und welche vernachlässigt werden können. Dabei stellt sich die Frage, wie wir mit unvollständigem Wissen sowie weltanschaulichen Differenzen und unterschiedlichen Interessen umgehen sollen. Eine historische Perspektive ist wichtig, um langfristige gesellschaftliche Entwicklungen wie kulturellen und institutionellen Wandel zu verstehen.

Wie muss man sich die Forschung zu so einem komplexen Thema vorstellen?

Zurzeit arbeite ich an der Entwicklung einer Theorie, die das Wissen aus unterschiedlichen Disziplinen in einen sinnvollen Zusammenhang bringt, um die mehr oder weniger sinnvollen Umgangsweisen mit riskanten Unsicherheiten besser zu verstehen. Mir geht es um die Ausarbeitung von Konzepten, die nützlich für die Untersuchung und das Verständnis von Risikoproblemen sind. Beispielsweise arbeite ich für die Untersuchung historischer Entwicklungsdynamiken von Risikokommunikation mit Linguistinnen und Linguisten zusammen, die auf die Bearbeitung riesiger digitalisierter Textmengen etwa in Zeitungsarchiven und sozialen Medien spezialisiert sind.

Welche Bedeutung hat Ihre Forschung für die Gesellschaft?

Immer neue Risikolagen wie etwa der Klimawandel, die Energiewende, Digitalisierung, Pandemien und Kriege, verlangen nach vernünftigen gesellschaftlichen und individuellen Umgangsweisen. Ein besseres Verständnis der Ursachen von Risikokonflikten ist dazu notwendig. Das beinhaltet etwa, das vorhandene Wissen und seine Grenzen verständlich zu kommunizieren, unterschiedliche Wissensformen wie beispielsweise intuitives Wissen oder lokales Wissen zu nutzen, und weltanschauliche Differenzen so zu kanalisieren. Meine Forschung entwickelt einen konzeptionellen Rahmen, der in allen möglichen gesellschaftlichen Bereichen hilft, mit riskanten Unsicherheiten umzugehen.

Was fasziniert Sie an diesem Forschungsthema?

Die Menschheit war schon immer einer unsicheren Zukunft und (un-)bekannten Gefahren ausgesetzt. Trotz unseres wachsenden Wissens und Fortschritten im Umgang mit riskanten Unsicherheiten, haben sich die Konflikte und Schwierigkeiten jedoch nicht verringert, sondern eher noch vergrößert und verschärft. Risikokonflikte und Desinformation nehmen also gerade in jenen Zeiten zu, in denen die Menschheit mehr Wissen und auch mehr Ressourcen hat, Gefahren abzuwenden. Mir stellt sich hier die Frage, warum immer wieder in akuten Krisenlagen, verfügbares Wissen nicht besser genutzt wird.

Worin sehen Sie für Ihre Arbeit den Vorteil in Instituten wie dem Hanse-Wissenschaftskolleg in Delmenhorst?

In wie das HWK bieten Freiräume, welche kaum ein anderer Einrichtungstyp in der deutschen Wissenschaftslandschaft bieten kann: genügend Zeit, sich den grundlegenden Forschungsfragen wirklich vertiefend zu widmen, Freiheit von Lehrverpflichtungen und Verwaltungsarbeit, und ein menschliches Umfeld, dass den Austausch zwischen Forscherinnen und Forschern ganz unterschiedlicher Disziplinen anregt und fördert. In einer Welt, deren Herausforderungen immer komplexer werden, sind dies keine Privilegien, sondern die Grundvoraussetzungen, die Probleme, denen wir als moderne Gesellschaften zukünftig gegenüberstehen werden, bewältigen zu können.

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