Die Kitzretter sind frühmorgens auf den Feldern und Wiesen unterwegs. Foto: Konrad
Kitzrettung

Helden der Morgenstunde

Von
Kitzrettung: (Jung-)Jäger und Freiwillige bewahren die Kitze vor dem Tod

Noch bevor die ersten Sonnenstrahlen hinter dem Horizont auftauchen ist er unterwegs: Jungjäger Theo Heuss. Um 4.40 Uhr fährt er mit dem Auto über die dunkle Landstraße in Richtung Teufelsmoor. Hier wird er, gemeinsam mit sieben weiteren Freiwilligen, Kitze retten.

Die Kitzrettung hat Mitte Mai bis Ende Juni Saison. Das ist die Zeit, in der die Mahd stattfindet. Die Bauern fahren mit ihrem Mähwerk über die Felder und bemerken die Jungtiere nicht oder erst dann, wenn es zu spät ist. „Durch das Mähwerk sterben die Kitze nicht immer sofort, sondern werden nicht selten schwer verletzt und sterben anschließend daran“, sagt Heuss. Wenn das Heu mit dem Kadaver später als Futter bei den Rindern landet, können diese an Botulismus erkranken und sterben. „Botulismus ist eine Rinderkrankheit, die durch das Gift des Bakteriums Clostridium botulinum hervorgerufen wird. Das Botulinumtoxin gehört zu den stärksten, natürlichen Giften weltweit“, heißt es laut des Magazins Agrarheute.

Kitzsuche mit der Drohne

Begrüßt von lautem Vogelzwitschern und gierigen Mücken tritt Heuss auf die noch feuchte Wiese. Der Sonnenaufgang hat gerade begonnen und erstrahlt in einem Tiefrot. Frühmorgens, wenn die Temperaturen noch kühl und die Wiesen taubedeckt sind, kann man die versteckten Kitze mittels Wärmebildkamera am besten erkennen. Ebenfalls auf der Wiese steht der Revierpächter und Jäger Frank Achelpöhler. Er ist heute für die Sichtung der Kitze mittels einer Drohne verantwortlich.
„Die Drohnenrettung ist eine gute Sache“, weiß Achelpöhler. Mittels Wärmebild lassen sich die Wildtiere aufspüren und die Freiwilligen können die Kitze in Sicherheit bringen. „Das geht entweder mit einem Karton, der an den Waldrand gestellt wird oder einem umgedrehten Wäschekorb. Dieser wird über das Kitz gelegt und wird an der Fundstelle mittels Heringen im Boden verankert. Der Landwirt kann später um diesen herum mähen“, sagt Heuss.

Bevor es Wärmebilddrohnen gab, wurden Hunde eingesetzt, um die Kitze aufspüren. – Auch heute werden sie noch eingesetzt, aber eher um die Tiere aufzuschrecken und zu vertreiben. Die Suche mit einer Menschenkette hingegen wird in der heutigen Zeit nur noch selten praktiziert. Die Kitze fallen im hohen Gras erst auf, wenn der Freiwillige schon fast auf das Tier tritt. Die Erfolgsquote ist dementsprechend nicht so hoch, wie mit der Wärmebildtechnik.

Anweisungen über Funk

Die Gruppe teilt sich auf. Einige bleiben beim Drohnenpiloten, um Anweisungen via Walkie Talkie an die Suchenden weiterzugeben. Diese verteilen sich am Rand des Feldes. Die surrende Drohne über ihnen stets im Blick, warten sie auf weitere Anweisungen. Gespannte Stille, Konzentration. Dann ein Knacken im Walkie Talkie: „Seht ihr die Drohne?“, fragt Jörn Sackewitz über Funk. Er ist beim Drohnenpiloten geblieben und ebenfalls Jungjäger. „Ja“, antwortet Heuss und setzt sich mit der Gruppe in Bewegung. Die Farbe des Sonnenaufgangs hat sich von rot zu rosa geändert. „Genau dort muss es sein“, sagt Sackewitz. Alle bleiben stehen und drehen sich um ihre eigene Achse. Mit konzentriertem Blick auf das kniehohe Gras suchen sie nach dem Kitz. „Hier“, ruft Heuss und zeigt auf ein kleines Wesen. Versteckt im Gras und nicht größer als ein gerade geborenes Menschenbaby liegt es ganz ruhig dort. Sofort wird ein Karton mit frischem Gras gefüllt, während Heuss sich Handschuhe anzieht und seine Hände sowie Unterarme mit Gras einreibt. „Mein Geruch darf nicht am Kitz haften bleiben, sonst nimmt die Mutter es nicht mehr an“, weiß Heuss. Vorsichtig hebt er den Nachwuchs an und platziert ihn im Karton. „Kitz gesichert“, gibt er weiter. „Bringt es an den Waldrand und markiert es mit dem Wimpel, macht ein Foto und schickt mir den Standort“, lauten die weiteren Anweisungen.

Das Kitz ist nur wenige Tage alt. Würden die Kitzretter es nicht vom Feld nehmen, würde es bei der Mahd sterben.

Tarnung im hohen Gras

Rehkitze zeichnen sich durch ihre braune Fellfarbe und kleine weiße Punkte auf ihrem Rücken aus. In den ersten Lebenstagen geben sie keine Witterung ab. Das erschwert Füchsen und Wölfen das Aufspüren. „Erst nach etwa zehn Tagen geht das Kitz ein paar Schritte mit der Mutter mit, ehe es sich wieder im hohen Gras versteckt. Vorher ist es schutzlos ausgeliefert“, sagt Heuss. Die Ricke, so die Fachbezeichnung für das weibliche Muttertier, sucht ihren Nachwuchs nur zum Säugen und Schlafen auf, um möglichst keine Fressfeinde anzulocken.

Insgesamt durchsuchen die Kitzretter fünf Felder. Neben dem ersten Kitz finden sie einen Fuchs, zahlreiche Erdhügel und letztlich noch ein weiteres Kitz. Der Himmel ist mittlerweile strahlend blau, die Temperaturen steigen. „Das ist die zehnte Drohnenaktion in zwei Wochen. Bis heute haben wir noch keine Kitze gefunden. Zwei sind also eine gute Quote“, sagt der Drohnenpilot.

Keine Zeit verlieren

Jetzt liegt es an dem Landwirt, seine Mahd schnell durchzuführen. Zwischen der Kitzrettung und dem Anrücken des Mähwerkes darf nicht zu viel Zeit vergehen. Ansonsten könnte die Rettung umsonst gewesen sein. „Die Kitze werden nach der Mahd vom Pächter oder den Freiwilligen an eine nicht zu weit entfernte, durch Deckung mittels Sträuchern oder hohes Gras geschützte, Stelle gebracht und dort versteckt abgelegt. Wenn die Ricke die Wiese wieder aufsucht ruft sie nach dem Kitz, welches antwortet und die Familie findet wieder unversehrt zusammen“, sagt Heuss.

Wer selbst aktiv werden möchte, kann sich für die Saison 2025 beim Hegering der Landesjägerschaft auf ljn.de melden.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren...

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner