Uwe Westphal lebt seinen Kindheitstraum: Er wohnt in einer alten Windmühle. Genau genommen handelt es sich dabei um einen einstöckigen Galerieholländer mit Steert und Jalousieklappenflügeln von 1870. Teile der Mühle sind sogar noch älter. Ohne die Unterstützung durch seine Frau Elisabeth wäre der Traum jedoch nie Realität geworden. Zudem waren die beiden mehrmals im Leben zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort.
Sehnsuchtsorte Ostfriesland und die Niederlande
„Bereits als Kind war ich von alten Windmühlen begeistert“, erzählt Uwe Westphal. Der Sohn eines Bäckers aus Oldenburg beschäftigte sich in seiner Freizeit mit den Gebäuden und der alten Technik. Häufig zog es ihn nach Ostfriesland und in die Niederlande – um seiner Leidenschaft zu frönen. Beruflich schlug der heute 66-Jährige dann aber doch einen völlig anderen Weg ein: Er lernte Radio-und Fernsehtechniker, studierte im Anschluss und wurde Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik. Er zog nach Süddeutschland und arbeitete in Bayern unter anderem für Bosch und Siemens.
In einer Landschaft, in der es lediglich Wassermühlen gibt, lernte er seine zukünftige Ehefrau kennen. Auf der Hochzeitsreise zeigte Uwe Westphal ihr seine Heimatregion. Im Landkreis Diepholz entdeckte das Paar in Groß Lessen, einer kleinen Ortschaft in der Stadt Sulingen, eine verfallene Windmühle. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges soll dort noch Mehl gemahlen worden sein, danach verfiel sie stetig. Bis das Ehepaar Westphal die kleine Mühle aus dem Dornröschenschlaf erweckte.
Kleine Steinchen im Weg
Sein Kindheitstraum – in einer Windmühle wohnen – bekam neues Leben eingehaucht. Der damalige Besitzer war froh, das marode Gebäude loszuwerden. Über den Preis wurde man sich schnell einig; schwieriger war die Bedingung des Mühlenbesitzers zu erfüllen. Er würde sie nur komplett inklusive Fundament verkaufen.
Damit hatten die Westphals zwar eine Mühle, aber noch kein passendes Gelände. Ihnen war nicht klar gewesen, dass es in Deutschland gar nicht so einfach ist, ein solches Gebäude als Wohnhaus nutzen zu dürfen. Wieder half das Schicksal den Beiden auf die Sprünge. Bei einem Fahrradausflug – die Familie wohnte mittlerweile in Ganderkesee – fiel dem gemeinsamen Sohn Christian der Schnuller aus dem Mund. „Wir waren in Habbrügge unterwegs und entdeckten plötzlich einen alten Resthof samt Heuerhaus aus dem Jahre 1895“, erinnert sich Uwe Westphal. Sie klopften spontan und nahmen den Besitzer des brachliegenden Grundstückes für sich und ihre Mühlen-Idee ein. Schnell wurde man sich einig. Dann ging alles ganz schnell.
Der Umzug einer Mühle
„Wir sind dem damaligen Bürgermeister der Gemeinde Ganderkesee, Gerold Sprung, sehr dankbar für seine Unterstützung. Innerhalb von 14 Tagen hatten wir die Genehmigung“, berichtet Uwe Westphal. Im Jahr 1987 begann der Abbruch der Mühle in Groß Lessen. „Der Transport gestaltete sich schwieriger als gedacht. Es wäre zu teuer gewesen, die Mühle auseinanderzubauen und in Einzelteilen nach Ganderkesee zu transportieren. Zumal der obere Teil über acht Meter hoch war und mehr als sechs Tonnen wog“, erinnert sich das Ehepaar.
Letztendlich fand der Transport auf dem Luftweg statt – dank der Heeresflieger in Ahlhorn. In Rheine-Bentlage war ein Hubschrauber stationiert, der genug Leistung für den Transport hatte. „Die Bundeswehr machte kurzerhand eine Übung daraus“, verrät Uwe Westphal. Im Herbst 1989 begann der Aufbau der Mühle. Der Sockel musste neu aufgebaut und der Achtkant restauriert und montiert werden. Im Jahr 1994 folgte die Restaurierung und Montage der Mühlenkappe. Ein Jahr später wurde nach Originalplänen die Galerie angebracht. „Neu sind auch die Flügel und der Steert der Mühle. Sie wurden 1987 in einer großen, logistisch akribisch vorbereiteten Aktion innerhalb eines Tages mit einem Autokran montiert“, erinnert sich Elisabeth Westphal. Im Frühjahr 1998 wurde die Mühle getauft. „Als Taufpatin fungierte unsere Tochter Anja, damals acht Jahre alt“, sagt Elisabeth Westphal und liefert damit auch die Erklärung für den Namen der Mühle: „De lütje Anja“.
Seit 1999 ist die Mühle ein Trauort
Wer heute die Windmühle in Habbrügge sieht, könnte auf den Gedanken kommen, sie hätte dort schon immer gestanden. „Wir hatten in der ganzen Zeit des mehrjährigen Mühlenaufbaus sehr viel Hilfe und Unterstützung durch die Nachbarschaft, von Freunden und der Familie, ohne die es nicht funktioniert hätte“, betont Familie Westphal.
Aus Platzgründen zog die Familie dann doch nicht in der Mühle selber, sondern im Heuerhaus ein. Beide Gebäude sind durch einen Gang miteinander verbunden.
Seit 1999 wird der alte Steinboden der Mühle als Trauzimmer genutzt. Das Premierenpaar kam aus der Nachbarschaft. Anne Hagstedt-Fischer und Jürgen Fischer gaben sich am 9. April 1999 das Ja-Wort.
Heiraten mit historischem Flair
„In den vergangenen 25 Jahren kamen mehr als 2.020 Trauungen hinzu,“ verrät Elisabeth Westphal. Durchschnittlich geben sich jährlich 70 bis 80 Paare in „De lütje Anja“ das Ja-Wort. Besonders beliebt sind die Monate Mai, Juni, Juli, August und September. Bevorzugt wird freitags und samstags geheiratet. Passend zur „beflügelten“ Windmühle wird für diesen Trauort in Habbrügge mit dem Motto „Wo früher gemahlen wurde, wird heute vermählt“ geworben.
Nicht nur aus der Region stammen die Paare. „Wir hatten auch schon Brautpaare aus Israel und Brasilien und vielen weiteren Ländern“, berichten die Mühlen-Besitzer. Jede Veranstaltung sei anders. Selbst Trauungen ganz im Flair schottischer Clans oder mittelalterlich gewandet, mit VIP-Status und mit Riesenbrimborium habe es in der Mühle schon gegeben. Eine Hochzeit war Elisabeth und Uwe Westphal jedoch die liebste: Im Dezember 2022, einen Tag vor Weihnachten, heiratete Anja Westphal – die Taufpatin von „De lütje Anja“ – in der Windmühle. „Sie hat uns nur 14 Tage Zeit zum Organisieren gelassen“, schmunzelt der Braut-Vater.
Im Trauzimmer in der Windmühle „De lütje Anja“, Am Ohlande 5 in Ganderkesee-Habbrügge, kann ganzjährig geheiratet werden. Informationen: windmuehle-habbruegge.de sowie telefonisch unter 04222 / 63 47.