Verfassungsschutz Chef Bremen Hilfsmittel für Nachtsitzungen: Thorge Koehler bunkert Kaffee. Sogar dann kann ein „Behördenzeugnis“ mit Hinweisen, um es an die Polizei zu geben, in wenigen Stunden erstellt werden. Foto: Marcus Schmidt
Hinter den Kulissen

„Ihr liebt Demokratie, wir schützen sie“

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So arbeitet Bremens Verfassungsschutz gegen Rechtsradikale, Linksradikale, Spione und Islamisten

An einem Ort, irgendwo in Bremen: Türschilder oder Wegweiser sucht man vergebens beim Landesamt für Verfassungsschutz. Nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und vermutlich einige wenige Gegner wissen, wo die Büros sind. Jalousien sind immer unten. So soll verhindert werden, dass jemand reinfotografiert. Handys und Smartphones werden am Empfang eingeschlossen. Tastaturen für Codes an jeder Tür verraten, dass hier irgendwas anders ist als in anderen Bremer Büro­etagen. Thorge Koehlers Behörde gehört zu Senator Mäurers Innenressort. Der WESER REPORT darf einen kleinen Blick hinter die Kulissen werfen.

Etwa 170 Reichsbürger

Rechtsradikale, Islamisten, Linksradikale, Spione und mittlerweile etwa 170 bekannte Reichsbürger in Bremen: Diese Verfassungsfeinde, die teilweise von Fakenews und Hasspredigten, bis hin zu Gewalt oder sogar Terror nicht zurückschrecken würden, treiben die Behörde und ihre Mitarbeiter um.
Der einzige Mitarbeiter, den der Reporter in den neuen Räumen treffen, sprechen und fotografieren darf, ist ihr Leiter Thorge Koehler. „Multiple Krisen verunsichern Menschen, Extremisten nutzen das für ihre Zwecke“, sagt er. Zwei Mythen, die Koehler zerstört beziehungsweise bestätigt: „Ein Dienstauto wie James Bonds Aston Martin gibt es bei uns nicht.“ Dafür erzählt er aber von mehreren „Qs“, Quartiersmeistern wie im Kino, die sich um wirkungsvolle Technik kümmern. Dafür seien die Bremer Fachleute aber alle bedeutend jünger. Sie kommen aus der Wissenschaft und Ingenieurskunst. Ihre meiste Arbeit leisten sie aber im Internet.

Russisch gelenkte Desinformationskampagne

Koehler beschreibt, wie gefährlich die aktuelle Sicherheitslage ist: „Wir haben nicht nur all diese singulären Feuer in den einzelnen Bereichen, sondern sie vermengen sich teilweise.“ Der ehemalige Staatsanwalt grenzt das so ein: „Wir haben eine Desinformationskampagne, die sehr wahrscheinlich russisch gelenkt ist, die sich dann unter anderem in der verfassungsschutz-relevanten Delegitimierung des Staates wiederfindet.“ Die würde auch von Rechtsextremisten und Reichs­bürgern geteilt. „Es gelingt ausländischen Akteuren sehr, sehr gut, sich vorhandenen Personals zu bedienen. Sie haben willfährige Abnehmer, die im Zweifel nichts davon wissen, für wen sie da gerade tätig sind, die die Botschaften aber in die Breite der Gesellschaft tragen“, erklärt er.

Zutiefst überzeugter Demokrat

Das mache die wachsende Belastung seiner Behörde aus. Das führe dazu, was im Rahmen der Pressekonferenz zum Verfassungsschutzbericht gesagt wurde: „Dass die Demokratie selten, wenn nicht gar noch nie in der jüngeren Vergangenheit, so extrem unter Druck war.“
Warum Koehler zum Verfassungsschutz gegangen ist, beschreibt er so: „Ich bin ein zutiefst überzeugter Demokrat. Wir sind in einer Zeit aufgewachsen, in der uns all diese demokratischen Privilegien lange Zeit wie selbstverständlich erschienen. Das erodiert gerade“, begründet er.
Deshalb verteidigt er unsere Staatsform: „Ich bin sicher, dass es auch in der Demokratie Schwierigkeiten gibt, aber mir fällt kein besseres System ein. Es ist das Beste, was uns hier in Europa passieren kann, das es wert ist, verteidigt und geschützt zu werden.“ Thorge Koehler beschreibt sich als der „repräsentative Kopf eines bunten Teams.“ Sie alle eint ein „klares Gerechtigkeitsempfinden“ und „hohe Sensibilität bei antidemokratischen Tendenzen“. Dies treibe seine Leute an. Als Staatsanwalt hatte seine Arbeit mit Organisierter Kriminalität und Islamismus schon erste Berührungspunkte. Dadurch kannte er das Team. Vor einem Jahr kam es zum Wechsel an die Spitze des Landesamtes. Ein Schritt, den er nach eigenen Worten „nicht einen Tag bereut“ hat.

Trennung von Polizei und Verfassungsschutz-Behörden

Eine neue Aufgabe beginne oft mit einem Hinweis von irgendwo her, einer inländischen Sicherheitsbehörde oder einem ausländischen Nachrichtendienst. Etwa so: „Wir sind darüber gestolpert, dass sich Person XY in sozialen Medien, in einem Kanal, einer Chatgruppe dahingehend geäußert hat, dass sie über Bombenbauanleitungen verfügt und bereit ist einen Anschlag zu begehen.“ Dazu brauche er immer den Hauch eines Hinweises, der auf Bremen deutet. Dann versuchen Koehler und seine Leute die Person zu identifizieren. Viele Punkte ergeben anhand strengere rechtlicher Vorgaben am Ende ein Bild. Dann sprechen die Nachrichtendienste untereinander im gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum. Mit dem Landeskriminalamt Bremen tausche man sich ebenfalls aus. An irgendeinem Punkt ist die Polizei dann in der Lage, Beschlüsse zu beantragen, zum Beispiel für Durchsuchungen: „Das kann innerhalb einer Nacht geschehen.“ Ein „Behördenzeugnis“ geht dafür an die Polizei, zum Beispiel mit Beweisen, dass jemand ein Attentat konkret vorbereitet. Verhöre und Festnahmen übernimmt die Polizei. Die getrennten Aufgaben seien historisch bedingt.
Dass jemand Angst hat, zur Polizei zu gehen, weil s andere womöglich erfahren, dass er den Hinweis gegeben hat, sei nicht ungewöhnlich, betont Koehler. Auch deshalb sei eine Trennung der Polizei- und Verfassungsschutz-Behörden sinnvoll. Ein Slogan fasst nach Überzeugung von Thorge Koehler die Arbeit des Landesamtes perfekt zusammen: „Ihr liebt Demokratie, wir schützen sie.“

Bedrohungen und Auffälligkeiten melden

Wer etwas melden möchte, auch anonym, vom Hakenkreuz bis zu Drohungen, kann dies unter office@lfv.bremen.de erledigen.

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