Leerstand ist vielerorts ein Problem, und häufig mangelt es auch an Interessenten für eine Betriebsübernahme. Foto: Utke Leerstand ist vielerorts ein Problem, und häufig mangelt es auch an Interessenten für eine Betriebsübernahme. Foto: Utke
Landkreis

Handwerk in der Fläche stärken

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Handwerks- und Landwirtschaftskammer veröffentlichen Empfehlungen für ländlichen Raum

Der ländliche Raum wandelt sich, demografisch wie auch strukturell. Besonders in Niedersachsen, dem zweitgrößten Flächenland Deutschlands, folgt hieraus ein besonderer Handlungsbedarf, finden die Landesvertretung der Handwerkskammern sowie die Landwirtschaftskammer des Bundeslandes.

An welchen Stellschrauben sie drehen wollen, haben beide Organisationen in einem Positionspapier formuliert. „Gemeinsame Handlungsempfehlungen zur Stärkung der ländlichen Räume in Niedersachsen“ heißt das Dokument, mit welchem sie sich an die niedersächsische Landespolitik wenden.

Typische Probleme des ländlichen Raums

Die Probleme, die in dem Papier angesprochen werden, sind allzu bekannt: Mangelnder öffentlicher Nahverkehr, Leerstand, schlecht ausgebaute digitale Infrastruktur und langwierige bürokratische Prozesse. Einige der Forderungen werden, zumindest im Landkreis Osterholz, bereits erfüllt.

So fordern die Autoren des Positionspapiers beispielsweise, Angebote zur beruflichen Orientierung an Schulen auszubauen. Im Landkreis Osterholz stellt die Jugendberufsagentur aber bereits ein flächendeckendes Beratungsangebot zur Verfügung: „Die Jugendberufsagentur ist an jeder weiterführenden Schule einschließlich der Berufsbildendenden Schulen an mehreren Tagen in der Woche vertreten. Durch diese Präsenz vor Ort sind die entsprechenden Beratungsangebote sehr nachgefragt und werden gut angenommen“, so die Verwaltung des Landkreises auf Nachfrage des HAMME / WÜMME REPORT.

Unattraktive Selbständigkeit

Das im Positionspapier angesprochene Problem, dass nur wenige Menschen den Weg in eine selbständige Beschäftigung finden, gelte allerdings auch für Osterholz. So schreibt die Handwerkskammer: „Viele Betriebe stehen vor der großen Herausforderung, eine geeignete Nachfolge für die Betriebsübernahme zu finden. Gleichzeitig wagen immer weniger junge Menschen den Schritt in die Selbstständigkeit im Sinne einer Betriebsneugründung“ – und das, obwohl die niedersächsische Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag das Ziel formuliert hat, die Gründungsquoten zu verdoppeln.

Nach Informationen des Landkreises habe dies vor allem mit der wirtschaftlichen Unsicherheit zu tun, welche mit dem Beginn einer Selbständigkeit einhergeht: „Die Wirtschaftsförderung des Landkreises beobachtet aktuell einen stark schwankenden Gründungswillen in allen Altersgruppen. In Gesprächen mit potenziellen Gründenden wird zunehmend das Thema ‚Sicherheit‘ angesprochen. Dies gilt zum einen in Bezug auf die Aufgabe eines oftmals festen Anstellungsverhältnisses zugunsten der Selbstständigkeit, zum anderen auch hinsichtlich der finanziellen Gesichtspunkte, da es für Gründerinnen und Gründer oftmals ‚nur‘ günstige Darlehen und keine Zuschüsse gibt“, so Schäfer.

Um den ländlichen Raum im Sinne von Handwerks- und Landwirtschaftskammer zu stärken, braucht es also nicht nur infrastrukturellen Ausbau, sondern vielschichtige Maßnahmen, um Handwerk und Selbständigkeit zu stärken, sicherer und attraktiver zu machen. In diesem Sinne mag auch die Forderung zu verstehen sein, der Privatwirtschaft sei vor der öffentlichen Daseinsvorsorge „ein absoluter Vorrang einzuräumen.“ Inwieweit die Landesregierung sich auf diese und weitere Handlungsempfehlungen einlassen mag und wie ihre konkrete Ausgestaltung im Landkreis aussähe, ist allerdings noch nicht abzusehen.

 

Kommentar der Autorin

Es ist wichtig, dass Interessenverbände Forderungen an die Landespolitik stellen, um ihre Bedarfe zu kommunizieren. Positionspapiere bieten zudem die Möglichkeit zur eigenen Profilschärfung. Und gerade an dieser Stelle ist das Papier der Handwerks- und Landwirtschaftskammern enttäuschend.

Die im Papier angesprochenen Probleme im ländlichen Raum gibt es. Sie müssen gelöst werden – nicht nur um der wirtschaftlichen Stärke, sondern auch um der dortigen Lebensqualität Willen.

Die formulierten Forderungen sind nicht problematisch. Das können sie auch kaum sein: Mehrere sind so unkonkret formuliert, dass es kaum möglich ist, Argumente gegen sie zu finden. Doch diese Selbstverständlichkeit der Forderungen verschleiert auch: Die Landespolitik wird und kann diesem Forderungskatalog nicht entsprechen.

In der Folge ist es sehr leicht, mit dem Finger auf die „Versagerkoalition“ zu zeigen, die im zweitgrößten Flächenland der Nation den ländlichen Raum vernachlässigt. Und das, ohne dass die Handwerks- oder Landwirtschaftskammern Gefahr laufen, durch konkrete Maßnahmenvorschläge Teile ihrer Interessengruppe politisch vor den Kopf zu stoßen. Aus Perspektive der Kammern ist dies eine wahrlich komfortable Position.

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