Ja, das ist ein echtes Bein: Erst nachdem alle Flüssigkeiten im Körpergewebe durch Kunststoff ersetzt wurden, können Susanne Talkowsky und ihre Kollegen das Fleisch entfernen um Sehnen, Muskeln oder Adern sichtbar zu machen. Fotos: Bettina Meister Ja, das ist ein echtes Bein: Erst nachdem alle Flüssigkeiten im Körpergewebe durch Kunststoff ersetzt wurden, können Susanne Talkowsky und ihre Kollegen das Fleisch entfernen um Sehnen, Muskeln oder Adern sichtbar zu machen. Fotos: Bettina Meister
Reportage

„Wir haben genügend Leichen im Keller“

Von
Fingerfertigkeit und Konzentration: Die Exponate der Körperwelten-Ausstellung werden in Guben plastiniert

Auf dem Metalltisch liegt ein Bein. Am Oberschenkel zupft Susanne Talkowsky Fett und Fleisch mit spitzer Pinzette von einer Sehne ab. So klinisch sich das anhört ist es auch anzuschauen. Irgendwie surreal wirkt nur das andere Ende des Beines: Der Richtung Decke zeigende Fuß ist inklusive Haut und Zehennägeln noch komplett erhalten.
Susanne zupft weiter, von Besuchern lässt sie sich nicht stören. Ist ja auch schließlich an der Tagesordnung, dass im Gubener Plastinarium Schulklassen und andere Besucher an der gläsernen Präparationsstraße vorbeiflanieren und ihr bei der Arbeit zuschauen.

Gunther von Hagens hat das Plastinationsverfahren erfunden

„Öffentlich und transparent sein, das ist unser wichtigstes Anliegen. Sonst gibt es nur Getuschel“, sagt Geschäftsführer Rurik von Hagens. Sein Vater Gunther von Hagens hat das Plastinationsverfahren in den späten 70er Jahren erfunden und erreichte mit seiner Körperwelten-Ausstellung weltweit mediale Berühmtheit. Inzwischen kommt der an Parkinson erkrankte Senior-Chef nur noch selten in die ehemalige Textilfabrik an der Neiße, in der die Leichen aufbereitet werden.
Susanne streift kleine Fleischfitzelchen in einem Behälter ab, legt die Sehne weiter frei. „Reste“ kommen ins Krematorium, Fundstücke, wie Glasaugen, Herzschrittmacher oder Schrauben ins sogenannte „Schatzkästchen“.

Konzentration ist wichtig

Die Arbeit erfordere Konzentration und Fingerfertigkeit, sagt Susanne, die eigentlich „am liebsten an einem Torso“ arbeitet. Neben ihr liegt ein aufgeschlagenes Anatomiebuch. Ab und zu wirft sie einen Blick hinein, genaues Arbeiten ist Pflicht. „Das ist ja schließlich was für die Ewigkeit.“ Die Mitarbeiter wurden teilweise von Gunther von Hagens selber ausgebildet, einen Lehrberuf dazu gibt es schließlich nicht.

Das Bein, liebevoll mit einem Zettel markiert, auf dem „Susi“ steht, geht – wenn es fertig präpariert ist – an eine Uni in Libyen. Dort können Medizinstudenten dann an dem echten Exponat lernen. Anzufassen ist es übrigens auch, es fühlt sich gummiartig an.

Die meisten Präparate gehen an Unis weltweit

95 Prozent der Präparate, darunter auch Tiere, werden von Universitäten weltweit in Auftrag gegeben, der Rest wird ausgestellt. Bis heute sind die Körperwelten mit insgesamt 55 Millionen Besuchern die erfolgreichste Wanderausstellung der Welt, sagt von Hagens. Noch bis zum 25. August ist sie unter dem Titel „Am Puls der Zeit“ im Bremer BLG-Forum zu erleben.

Drei bis vier Körperspender kommen pro Woche in Guben an. Sie werden deutschlandweit mit dem „Body-Mobil“ abgeholt. Wichtig ist, dass die Körper möglichst schnell in Formalin eingelegt werden, um den Verwesungsprozess aufzuhalten. So können sie notfalls jahrelang aufbewahrt werden bis zur Plastination.

Viele Freiwillige im Körperspende-Programm

An Freiwilligen mangelt es übrigens nicht: In dem Körperspende-Programm haben sich sei 1984 mehr als 21.000 Spender aus der ganzen Welt registriert, die meisten davon leben noch. „Man kann sagen, wir haben genügend Leichen im Keller“, sagt von Hagens augenzwinkernd. Wie sein Vater steht auch er auf der Liste.

Susanne dreht das Bein ein wenig, der Fuß kippt leicht zur Seite. Erstaunlicherweise stellt sich kein Ekel-Gefühl ein – obwohl vor mir ein abgetrenntes menschliches Bein liegt und ein paar Tische weiter an einem freigelegten Brustkorb die feinen Verästelungen einer Lunge geputzt werden. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass es in der Halle, wo noch Dutzende weitere Angestellte an verschiedensten Körperteilen arbeiten, nach absolut gar nichts riecht.

Mehrere Verarbeitungsstufen notwendig

Letzteres erklärt sich dadurch, dass die Objekte, bevor sie auf den Tischen landen, schon einige Verarbeitungsstufen durchlaufen haben: Nach dem Formalinbad werden die Körper entwässert und die löslichen Fettanteile durch Azeton ersetzt. In einem Vakuum wird dieses dann extrahiert und allmählich durch Kunststoff ersetzt. Erst danach werden die Leichen je nach Auftragslage in Position gebracht, mit Gas ausgehärtet und letztlich mit Silikonkautschuk durchtränkt. Adern, Sehnen und Muskeln bleiben so erhalten.

Susanne und ihre Kollegen können dann das überflüssige Fleisch entfernen. Um ein Ganzkörperplastinat herzustellen, braucht es bis zu 3.000 Arbeitsstunden, also durchschnittlich ein Jahr.
Das einzig Unechte an einem Plastinat sind übrigens die Augen: „Die Iris trübt sich während des Verfahrens nämlich ein, deshalb ersetzen wir sie“, sagt Rurik von Hagens.

Mehr Infos zu Körperspende-Programm, dem Plastinarium und der Ausstellung gibt es unter körperwelten.de.

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner