Delme Report: Frau Marques, was würden Sie sich von Menschen wünschen, die selbst nicht vom Alltagsrassismus betroffen sind?
Elisabete Janeiro Marques: Alle Menschen sollten sich bewusst mit Rassismus und seiner Wirkmacht beschäftigen, weil wir alle rassistisch sozialisiert sind. Das heißt, dass alle Menschen Vorurteile zum Beispiel anhand des Äußeren eines anderen Menschen haben. Das Fremde ist vermeintlich gefährlich. Es ist wichtig, die eigenen Vorurteile zu erkennen und zu hinterfragen: Woher kommen meine Vorurteile? Die Verantwortung jeder einzelnen Person liegt dann darin, sich bewusst gegen die eigenen Vorurteile zu entscheiden, offen zu bleiben und nicht zu diskriminieren. Dies gilt auch für positiven Rassismus.
Können Sie positiven Rassismus erklären?
Das ist zum Beispiel eine Aussage, wie: „Menschen wie Sie haben so schöne Haare oder so ein feuriges Temperament.“ Durch diese Kommentare entsteht eine Ausgrenzung und die Person wird zur „Anderen“ gemacht. Was harmlos und gut gemeint erscheint, grenzt aus und reproduziert Stereotype.
Das erinnert mich an den Satz: „Ich sehe keine Hautfarben.“
Genau. Solch ein Satz spricht den Menschen ihre Lebensrealität ab. Sie machen täglich die Erfahrung, dass ihre Hautfarbe sehr wohl einen großen Unterschied macht und sie benachteiligt. Das ist ein Problem, denn zusätzlich zur Diskriminierung werden die Betroffenen nicht ernst genommen. Für uns sind die neuesten Wahlergebnisse zum Beispiel nichts Verwunderliches. Uns wurde aber nicht geglaubt, dass es tatsächlich so schlimm ist. Das Absprechen geschieht durch „weiße“ Menschen. „Weiß“ heißt hier Menschen ohne Rassismuserfahrung, die privilegiert sind. Und der Dominanzgesellschaft angehören. Durch das Absprechen von Rassismuserfahrungen durch eine „weiße“ Person, erhält sie die Macht darüber, wie und ob über das Thema gesprochen wird. Sie behält die Deutungshoheit und bestimmt das Narrativ.
Was können „weiße“ Menschen tun, damit wir Rassismus nicht weiter reproduzieren?
Es braucht die Bereitschaft sich selbstkritisch auseinanderzusetzen und die eigenen blinden Flecken zu ergründen. Das Verstehen wie Rassismus in der Gesellschaft wirkt und das Erkennen wie durch Rassismus Machtstrukturen aufrecht erhalten werden, könnte zu einem Bewusstseinswandel führen. Den braucht es dringend zur Dekonstruktion. Das bedeutet, dass alle Menschen Verantwortung übernehmen und Haltung zeigen müssen.
Das erfordert Mut.
Ja, und es braucht den Willen eines pro-aktiven Umgangs. Das ist aber nichts im Vergleich zu dem, was von Rassismus betroffene Menschen an Kraft aufbringen müssen, um sich zu wehren und sich und ihre Familien zu schützen.
In welcher Funktion geben Sie Ihr Wissen über Alltagsrassismus weiter?
Mein Schwerpunkt ist diversitätssensible Organisationsentwicklung, antirassistische Bildungsarbeit und Migrationspädagogik. Das fließt alles in meine Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe Delmenhorst ein. Darüber hinaus doziere ich aktuell an der IU – Internationale Hochschule Bremen in dem Fach Soziale Arbeit unter anderem zu den Themen Diversität und Soziale Ungleichheit. Und ich gebe Workshops und spreche zu diesem Themenfeld.
Welche Probleme sehen Sie in der Arbeitswelt zum Thema Alltagsrassismus?
Es braucht auch in der Arbeitswelt einen Bewusstseinswandel und eine echte Wertschätzung von Vielfalt. Die Idee von Integration kann die Diskriminierung am Arbeitsplatz reproduzieren. Integration bedeutet, dass alle auf- und angenommen werden, wenn sie sich nur genug anstrengen und sie sich anpassen. Das ist fatal. Denn wir leben in einem System, das von struktureller und institutioneller Diskriminierung geprägt ist. Es wird eine einseitige Anpassungsleistung von Menschen gefordert, anstatt die Vielfalt als Bereicherung zu begreifen. Das macht Menschen krank und Organisationen zukunftsunfähig. Wir sollten deshalb immer Machtstrukturen hinterfragen, eine diversitätssensible Personalpolitik betreiben, Mitarbeitende in den Themen schulen und Antidiskriminierung ernsthaft umsetzen.