Der Dialog ist ein wichtiges Thema des Schüler-Vorhabens, das der Lehrer Trifon Kechagias der Integrierten Gesamtschule in Delmenhorst (IGS) mit anderen Ehrenamtlichen 2015 ins Leben rief.
Fast 600 Opfer
Die gemeinsame Arbeit soll knapp 600 Mordopfer in Erinnerung rufen. Zum dritten mal kann das Vorhaben dieses Jahr stattfinden. Im März besuchten die griechischen Jugendlichen ihre Delmenhorster Altersgenossen. Im April geht‘s für die 17- und 18-Jährigen aus Delmenhorst nach Griechenland.
Ein Tonschild pro Leben
Neben dem Austausch fertigen die Schülerinnen und Schüler Tonschilder für die Mordopfer der griechischen Dörfer Pirgi und Mesovouno an – für jedes Opfer ein Schild. Die Schilder werden auf dem „Hügel der Erinnerung“ zwischen den beiden Dörfern an gepflanzte Bäume angebracht. „Wir wollen in Zukunft auch Familienfelder anlegen, um die Ausrottung ganzer Familien verbildlichen zu können“, so Undine Schneider, ebenfalls Lehrerin der IGS. Mithilfe der Bäume und der Schilder könne man die Ermordeten aus der Anonymität holen.
Projekt gibt Hoffnung für Völkerverständigung
„Das ist ein sehr schönes Zeichen. Das Wachstum der Bäume nimmt die Opfer mit in die Zukunft“, sagte Oberbürgermeisterin Gerlach in ihrer Ansprache an die 17- und 18-jährigen Deutschen und Griechen. Und Kechagias ergänzte: „Es wurde Leben weggenommen. Nun kommt wieder Leben dazu.“ Zum Austausch der Jugendlichen erklärte Gerlach zuversichtlich: „Wenn so eine Völkerverbindung im Kleinen funktioniert, dann funktioniert Völkerverständigung auch im Großen.“ Und genau darum geht es auch Kechagias. „Der Titel und der Inhalt des Schüler-Austausch-Projektes „Erinnern für Toleranz“ zeigt, wie wichtig Erinnerungskultur ist, um uns einander mit Respekt und Verständnis zu begegnen.“
Verbrechen wurden lange verschwiegen
Dass das Projekt zum Gedenken der Mordopfer heute stattfinden kann, ist etwas Besonderes. Denn lange wurde zu den Verbrechen geschwiegen. „Keine Geschichtslehrerin und kein Geschichtslehrer hat uns während der Schulzeit irgendwas von der deutschen Besatzungszeit Griechenlands erzählt“, erinnert sich Kechagias.
Ein deutscher Professor erzählte mir meine Geschichte
Der Schock war groß, als er 2009 auf der Internationalen Buchmesse in Thessaloniki durch den deutschen Professor Christoph U. Schminck-Gustavus von den über 100 sogenannten Märtyrerdörfern Griechenlands erfahren musste. „Ein deutscher Professor erzählte mir meine griechische Geschichte“, erzählt Kechagias. „Ich wusste aber als ich die Bücher vom Herrn Schminck-Gustavus gesehen habe, dass auch in den umliegenden Dörfern meiner Herkunftsstadt Ptolemaida ähnliche Gräueltaten passiert sind.“ Kechagias ging zu seiner Familie. Und tatsächlich: Sein Vater, damals 14 Jahre alt, konnte sich an die Überfälle in der Nachbarschaft erinnern.
Gründung des Kulturvereins „Dialogos“
„So haben wir von der VHS-Arbeitsgruppe im Dezember 2009 den gemeinnützigen eingetragenen Griechisch-Deutschen Kulturverein „Dialogos“ gegründet. Das darauffolgende Jahr sind wir mit zwei Vereinsmitgliedern nach Griechenland gereist und haben dort angefangen, Überlebende aus den Dörfern Pirgi und Mesovouno zu interviewen“, erzählt Kechagias. „Den Verein Dialogios haben wir mangels Nachfolgemitgliedern aufgelöst, insofern existiert dieser nicht mehr“, erklärt der IGS-Lehrer.
So entstand das Projekt mit den Jugendlichen
Aus dem Verein „Dialogos“ entstand jedoch der Austausch zwischen Schülerinnen und Schülern aus Deutschland und Griechenland.
Was vor über 80 Jahren geschehen war
Am 23. April 1944 überfielen Soldaten der Deutschen Wehrmacht die griechischen Dörfer Pirgi und Mesovouno, in der Nähe von Ptolemaida. Knapp 600 Menschen wurden bei lebendigem Leibe verbrannt und auf andere unvorstellbare Weise ermordet. Opfer waren vor allem Menschen, die sich nicht wehren konnten – alte Männer, Frauen, Kinder und Babys. Nach der Gräueltat schwiegen die Überlebenden und die Ermordeten gerieten in Vergessenheit.
Für weitere Informationen
Nachzulesen in: „Der blaue Mantel: Von Dachau nach Sibirien – Zeugnisse griechischer KZ Häftlinge 1943“ und „Mnimes Kaoxis II“ von Christoph U. Schminck-Gustavus.