Seit Ende 2024 gibt die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen die Bezahlkarte an Geflüchtete aus. Klaus Dierker und Ronja Kuhls präsentieren die Karte. Foto: LAB NI
Landkreis

Die Bezahlkarte ist da

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Die Bargeldobergrenze von 50 Euro löst gemischte Reaktionen aus

Die Bezahlkarte für Geflüchtete ist da. War sie lange Streitthema der Bundespolitik, so ist sie nun auch in Osterholz in Gebrauch. Die Karte funktioniert wie eine Visa-Karte. Der entscheidende Unterschied: Monatlich können maximal 50 Euro Bargeld abgehoben werden. Manche versuchen, diese Bargeldobergrenze zu umgehen, und ernten gemischte Reaktionen.

Die Einführung der Bezahlkarte erfolgt schrittweise durch die Landesaufnahmebehörde. Jene Geflüchteten, welche bereits im Landkreis wohnen, sollen die Karte bis Ende des Jahres erhalten. „Dies betrifft aktuell rund 300 volljährige Leistungsbeziehende“ sowie deren Kinder, teilt der Landkreis auf Anfrage mit.

Eine Stigmatisierung der Karteninhaber fürchte der Landkreis nicht. „Bei der Bezahlkarte handelt es sich um eine neu­trale Visa-Debitkarte, die aktuell nach dem Zufallsprinzip in vier verschiedenen Designs ausgegeben wird.“ Sigmar Walbrecht vom Flüchtlingsrat Niedersachsen stimmt dieser Aussage bedingt zu: „Während des Bezahlvorgangs sehe ich keine Stigmatisierung. Da lässt sich nicht erkennen, dass es sich um eine Bezahlkarte für Geflüchtete handelt.“

Bargeldobergrenze

Für problematisch hält er hingegen die Bargeldobergrenze von 50 Euro im Monat. Überweisungen müssen extra beantragt und genehmigt werden, was bei Walbrecht Fragen bezüglich des Datenschutzes aufwirft. Auch den zusätzlichen Verwaltungsakt, dass jede Überweisung von Behördenseite einzeln freigegeben werden muss, kritisiert er. „In einer Erstaufnahmeeinrichtung konnte ein Geflüchteter keine Rechtsmittel wahrnehmen, da er den Anwalt nicht bezahlen konnte. Die Bearbeitung des Überweisungsantrags hat so lange gedauert, dass letztlich die Frist für das Rechtsmittel abgelaufen ist, bevor der Mandant den Anwalt bezahlen konnte“, berichtet Walbrecht. Auch das Diakonische Werk Osterholz-Scharmbeck ist überzeugt, dass besonders hier vor Ort „Geflüchtete auf genügend Bargeld angewiesen“ seien, um „an den Angeboten von Sozialkaufhäusern, Märkten, örtlichen Restaurants und der Tafel teilnehmen zu können.“

Umtausch-Aktionen

Im Zuge von „Umtausch-Aktionen“ tauschen Menschen ohne Bezahlkarte Bargeld gegen Supermarktgutscheine, welche Geflüchtete mit ihrer Bezahlkarte erworben haben. Die Aktionen laufen dem Zweck der Bezahlkarte zuwider, sind aber legal: In Bayern kamen in der Vergangenheit bereits die Staatsanwaltschaften München I sowie Regensburg zu dem Ergebnis, dass Umtauschaktionen keinen Straftatbestand erfüllen. Die Debatte um die Aktionen ist aber noch nicht vorbei. So ist der innenpolitische Sprecher der CSU, Holger Dremel, überzeugt, die Bürgerinnen und Bürger „unterwandern damit demokratische Entscheidungen“, was der Bund unterbinden müsse.

Doch nicht nur in Bayern stört sich die Landespolitik an den Tauschaktionen. „Ähnliche Aktionen im Landkreis Osterholz sind hier noch nicht bekannt geworden. Allerdings ist ein solcher Missbrauch auch nicht auszuschließen“, schreibt der Landkreis, und fügt hinzu: „Das Land Niedersachsen hat in einem gemeinsamen Austausch um Rückmeldung seitens der Kommunen gebeten, wenn örtliche Umtauschaktionen bekannt werden.“ Walbrecht wundert das, immerhin sei bereits beschieden, dass es sich bei den Umtauschaktionen nicht um Straftaten handelt.

Nicht nur für das SPD-geführte Niedersachsen, sondern auch für die künftigen Koalitionäre auf Bundesebene, SPD und CDU, scheint dies kein Problem darzustellen. In dem am 8. März veröffentlichten Sondierungspapier der beiden Parteien halten diese fest: „Wir wollen, dass die Bezahlkarte deutschlandweit zum Einsatz kommt, und werden ihre Umgehung unterbinden.“ Ob und wie die aktuelle Rechtslage hierfür verschärft werden muss, wird die Zukunft zeigen.

Beim örtlichen Diakonischen Werk will man die Einführung der Bezahlkarte erst einmal beobachten. Abhängig von den Folgen der Bezahlkarte überlegt man dort, zu „tagen und über eine mögliche Umtauschaktion nachdenken.“

Kommentar

Ein seltsames Anliegen

Eine seltsame Bitte ist es, die das Land Niedersachsen da an die Landkreise stellt. Wenn Umtauschaktionen bekannt werden, sollen diese gemeldet werden. Und das obwohl sie legal sind. Warum dann nicht auch erheben, wo sich Menschen sozial engagieren, Nachhilfestunden nehmen oder einen Netflix-Account besitzen? Immerhin ist beides strafrechtlich genau so (ir-)relevant, wie an Umtauschaktionen teilzunehmen. Es sind doch gerade die Bürgerinnen und Bürger, die in der freiheitlich-demokratischen Ordnung bestimmen können, was sie wo tun, sofern dies legal ist. Doch wenn die Landesregierung anfängt zu erheben, wo Menschen ganz legal Bargeld gegen Supermarktgutscheine tauschen – wie viel Freiheit steckt dann noch in der viel beschworenen freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Landes?

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