Bis Mitte Mai ist die Hälfte der diesjährigen Kitze geboren. Genau zu einer Zeit, in der auch die Frühjahrsmahd der Landwirte in vollem Gange ist. Da der angeborene Drückreflex (das Kitz drückt sich zum Schutz ins Gras) der Kitze in den ersten drei Lebenswochen ihre Flucht verhindert, kommen jedes Jahr in Deutschland mehr als hunderttausend Tiere durch die Mähwerke ums Leben. Damit das nicht passiert, treffen sich fast jeden Tag vor der Morgendämmerung engagierte Ehrenamtliche, um die Wiesen abzusuchen und den Kitze das Leben zu retten.
Die ehrenamtlichen Helfer sind früh unterwegs
Dienstagmorgen, 3 Uhr früh, der Wecker klingelt, ich quäle mich noch verschlafen aus dem Bett, rasiere mich nur schnell und schnappe mir die vorbereiteten Utensilien: Gummistiefel, Regenhose, Regenjacke, Handschuhe, Stirnlampe, Frühstücksbrot, Kaffee – und los geht‘s. Heute werden hundert Hektar mit drei Teams abgesucht.
Ich bin mit Team Werner sowie Elke, Andrea und Richi von der Rehkitzrettung Fischerhude im Einsatz. Treffen ist um 4 Uhr. Noch im Dunkeln zeigt uns Drohnenpilot Werner die Flächen, die heute dran sind. Insgesamt 50 Hektar.
Die erste Wiese wird in der Dämmerung abgesucht
Mit der Dämmerung erreichen wir die erste Wiese. Während Werner die Drohne startklar macht, verteilen sich die Helfer entlang der Wiese und folgen langsam der Drohne, die, mit Wärmebildkamera ausgestattet, in 60 Metern Höhe ihre vorgeschriebenen Bahnen über die Wiese fliegt. Entdeckt Werner unklare Wärmepunkte, fliegt er mit der Drohne näher ran oder dirigiert per Funk den nächsten Helfer zu der Stelle. Das funktioniert so präzise, dass der Pilot häufiger sogar sagt, „jetzt Korb runter“, obwohl der Helfer am Boden noch gar kein Kitz entdeckt hat. Umso schöner das Gefühl, wenn dann tatsächlich ein Kitz unter dem Wäschekorb ist, der dann mit Heringen gesichert wird. Schnell noch eine Fahne in den Boden und dem Bauern die Fundstelle melden, damit er weiß, welchen Bereich er bei der Mahd aussparen muss.
Rehkitze sichern, Hasen verscheuchen
Weiter geht die Suche. Nebenbei verscheuchen wir noch ein paar Rehe, Hasen und Fasane – oder sichern Jungtiere und Gelege. Dann ist die nächste Wiese dran. Es muss schnell gehen, denn spätestens, wenn die Sonne etwas höher kommt, kann die Wärmebildkamera nicht mehr sauber zwischen Rehkitzwärme und Maulwürfshügel unterscheiden. 7.30 Uhr: der Einsatz ist fast abgeschlossen.
Nach der Mahd werden die Kitze vom Korb befreit
Während die ersten Bauern mit der Mahd beginnen, treffen sich zwei Teams gut gelaunt am Rande einer Wiese zu Kaffee und Einsatzbesprechung. Es hat sich wieder gelohnt, ein sehr schöner Morgen mit vielen Naturerlebnissen und mehreren gesicherten Kitzen. Die werden nach der Mahd spätestens bis Mittag wieder von den Körben befreit. Wobei sich oft ergreifende Momente ergeben, wenn das Kitz gleich abspringt oder nach der Mutter ruft. Oder die Ricke bereits am Rande der Wiese nach ihrem Kitz Ausschau hält und wartet.
Aber dann wird es auch schon wieder Zeit, die Ausrüstung einzupacken und die Akkus zu laden, damit alles für den Einsatz am nächsten Morgen bereit ist. Schließlich trudeln bereits gegen Mittag die Meldungen der Landwirte ein, die am nächsten Morgen mähen möchten. Dann heißt es um 3 Uhr früh wieder: „Raus aus dem Bett, damit kein Kitz ausgemäht wird!“
Weitere Infos zur Rehkitzrettung findet man unter rehkitzrettung-fischerhude.de im Internet.