Todesfälle in der Familie oder dem sozialen Umfeld lösen viele Gefühle aus, Trauerprozesse bedeuten oft eine große Herausforderung. Trauernde Kinder dabei zu begleiten, den Tod einer nahestehenden Person zu verarbeiten, bildet die Aufgabe des Anderlands.
Tod verstehen
Bianca Schulze arbeitet als Diakonin im Anderland, zudem absolviert sie eine Ausbildung zur systemischen Therapeutin. Ihr Kollege Gerd Rühlemann, der zweite festangestellte Mitarbeiter des Anderlands, ist Pastor. Das Anderland steht aber konfessionsunabhängig allen Kindern und Jugendlichen offen, betont Schulze. Gemeinsam mit zahlreichen Ehrenamtlichen betreiben sie die Gruppenangebote des Anderlands.
Laut Schulze müssen Kinder erst lernen, was es bedeutet, wenn ein Mensch stirbt. „Eigentlich bildet sich erst mit der Schule ein ausgeprägteres Zeitverständnis. Das heißt, wenn ich einer Dreijährigen sage: ‚Papa kommt nie mehr wieder‘, ist das genauso wie zu sagen: ‚Ich habe gleich für dich Zeit‘.
Gleich, nie mehr, immer, ewig, das sind Wörter, die sind noch gar nicht gefüllt. Und dadurch ist auch das Wort Tod noch gar nicht gefüllt“, so Schulze. „Natürlich wird dann Tod vielleicht erst mal als ein Wegsein und auch ein Für Immer akzeptiert, aber irgendwann bekommt das eine neue Intensität und eine neue Tiefe, weil das naturwissenschaftliche Interesse wächst.“
Individuell trauern
Dementsprechend gingen Kinder mit Trauer oft anders um als Erwachsene. „Fachwissenschaftlich kann man immer das Bild von Pfützen und einem See bemühen. Kinder springen durch Trauerpfützen, haben meistens gute Gummistiefel an und können in diese Pfütze rein, aber auch relativ frei und trocken wieder aus dieser Pfütze raus.
Während man bei Erwachsenen sagt, eigentlich waten die jetzt durch einen sehr, sehr großen, langen See. Es ist eher ein beständiger Prozess. Und das hat beides definitiv seine Vor- und Nachteile“, berichtet Schulze.
„Wenn man mich jetzt fragen würde, ‚Trauern Kinder anders als Erwachsene?‘, würde ich definitiv ja sagen. Aber ich würde auch sagen, jeder Erwachsene trauert anders als der nächste Erwachsene.“
„Es ist, wie es ist“
Jedes Kind so trauern zu lassen, wie es seinen jeweiligen Bedürfnissen und individuellen Umgangsweisen entspricht, bestimmt die Arbeit im Anderland. Dabei spielt es keine Rolle, wer gestorben ist. Wenn Kinder trauern und Begleitung wünschen, betrachten die Mitarbeitenden und ehrenamtlich Engagierten im Anderland dies als legitim. Das Anderland solle ein Ort sein, wo die Trauer nicht sein muss, aber auch jederzeit sein darf, berichtet Schulze.
„Es ist, wie es ist“, so lautet das Motto der Einrichtung. Der Ansatz beinhaltet eine klare Haltung der Akzeptanz dessen, wie die Kinder mit ihrer Trauer umgehen möchten.
„Jedes Kind kommt mit dem, was es mitbringt, hierher. Egal, ob es traurig ist, ob es wütend ist, ob es gar nicht über die Person reden will, ob es lacht und spielt und dabei über die Person redet. Jeder hat auch das Recht zu schweigen“, betont Schulze.
Begleiten statt Korrigieren
„Es ist nicht unser Job, ein Korrektiv zu sein“, betont die Diakonin. „Wir sind uns sicher, auch wenn wir manchmal nicht wissen, warum, dass dieses Kind Experte für seine eigene Trauer ist und weiß, was es braucht.
Wir haben hier Kinder gehabt, die haben einen großen Topf genommen, Farben hineingegossen, Materialien dazugegeben und gesagt: ‚Wir kochen Suppe‘. Und wir haben das einfach begleitet. Wir haben das nicht korrigiert, wir haben das nicht interpretiert, sondern wir haben das einfach hingenommen“, beschreibt Schulze den Begleitungsprozess.
„Viel später hat sich herausgestellt, dass der Vater, der verstorben war, Koch war. Er war lange krank und das einzige, was er mit seiner Tochter noch sehr lange kochen konnte, war Suppe.“ Schulze vermutet, „dass sie darüber eine Verbindung zu ihrem Papa aufbauen konnte“ – danach gefragt habe sie aber nicht, das widerspräche den Prinzipien der Arbeit im Anderland.
Für seine Arbeit ist das Anderland sowohl auf Spenden als auch das Engagement Ehrenamtlicher angewiesen. Voraussichtlich im Februar gibt es die nächste Möglichkeit, in das Ehrenamt einzusteigen. Weitere Informationen unter anderland-ohz.wir-e.de






