Ilka Christin Weiß legt besonderen Wert darauf, Menschen den für sie individuell passenden Lebensweg finden zu lassen: „Zweifel sind erlaubt, und müssen sogar sein.“ Foto: Utke Ilka Christin Weiß legt besonderen Wert darauf, Menschen den für sie individuell passenden Lebensweg finden zu lassen: „Zweifel sind erlaubt, und müssen sogar sein.“ Foto: Utke
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„Wo sind die Transmenschen?“

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Trans*NET OHZ vernetzt und unterstützt Transmenschen im ländlichen Raum

Sowohl in der Stadt als auch auf dem Land gibt es Transmenschen, also Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht, das in ihrer Geburtsurkunde steht, identifizieren. Ilka Christin Weiß lebt in Lilienthal, wurde in einem Jungenkörper geboren und outete sich 2013 als Transfrau. Sie besuchte die Selbsthilfegruppe Trans*NET in Bremen. Doch sie wunderte sich: Wo waren all die Transmenschen aus dem Landkreis Osterholz, die es doch geben müsste?

„Mutig, wie ich bin, habe ich dann 2016 das Trans*NET OHZ aus der Taufe gehoben“, berichtet sie stolz im Gespräch mit dem HAMME / WÜMME REPORT. Denn als Transmensch auf dem Land zu leben unterscheide sich stark vom Leben in der Stadt: „In der Stadt können Menschen anonym bleiben. Wenn ich mich auf dem Land oute, weiß es morgen das ganze Dorf.“

Selbsthilfegruppe für Transmenschen und Angehörige

Bei dem ersten Treffen des Netzwerks tauchten bereits zwölf Leute auf, seitdem besteht die offene Gruppe. „Es geht um Selbsthilfe, Erfahrungsaustausch, die Gestaltung von individuellen Lebenswegen, die Vermittlung von Wissen“, fasst Weiß den Zweck der Gruppenabende zusammen. Impulse geben zwei Gruppenleiterinnen, aber auch die Mitglieder sind dazu angehalten, Thematiken einzubringen.

Selbsthilfe bezieht sich hierbei vordergründig auf Transmenschen, aber auch Angehörige können sich von dem Netzwerk beraten und weiterverweisen lassen. „Angehörige können immer mitkommen, aber nicht für immer“, betont Weiß.

Vor dem ersten Gruppenbesuch gebe es immer ein Vorgespräch, welches persönlich, telefonisch oder per Mail erfolgen kann. Dies diene auch dazu, Personen herauszufiltern, die auf der Suche nach Sexkontakten sind – und in den acht Jahren seit Gründung des Netzwerks sei dies auch stets gelungen. „Wir sind keine Partnerbörse. Wer Transfrauen als ‚Frauen mit dem gewissen Etwas‘ sucht, ist bei uns falsch.“

Den Weg finden, der für mich passt

Die Treffen seien darauf ausgelegt, Austausch zu bieten, und den Teilnehmenden zu ermöglichen, ihren individuellen Lebensweg zu finden. „Auch Ratschläge sind Schläge“, sagt Weiß hierzu, und: „Transition ist kein Wettbewerb.“

Damit meint sie, dass es nicht darum gehe, Menschen vorzuschreiben, wie sie zu einer „richtigen“ Frau oder einem „richtigen“ Mann werden. Viel wichtiger sei es, den individuell richtigen Weg für sich selbst zu finden. „Zweifel sind erlaubt und müssen sogar sein“, ist sie überzeugt. „Wenn ich nicht so viele Zweifel gehabt hätte, wäre ich mir am Ende nicht so sicher gewesen.“

Neben dem Fokus auf Vernetzung und Austausch berät Weiß auf Wunsch auch kostenlos außerhalb des Gruppensettings, hält Vorträge und vermittelt Wissen, beispielsweise an Schulen, bei Kongressen und überregionalen Veranstaltungen. Hierfür investiert sie all ihre Zeit, und das aus Überzeugung: „Ich mache das nicht für eine Ehrenamtsnadel. Es ist wichtig, diese Angebote auf dem Land aufrecht zu erhalten.“

Land- und Stadtleben nicht nur verschieden

Als Transperson im ländlichen Raum zu leben, sei zwar anders als in der Stadt, aber nicht unbedingt schlechter: So gebe es auf dem Land nicht per se mehr Anfeindungen als im urbanen Raum. Auch dass sich ein Outing im Dorf schnell rumspreche, nutzen manche Menschen strategisch, erzählt Weiß: „Dann muss man sich nicht immer wieder outen, sondern es wissen schon alle. Doch es nehmen auch viele als Mehrbelastung wahr.“

So seien ihr auch Fälle bekannt, in denen Menschen nach ihrem Outing aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen wurden. Wenn kein Wechsel des Wohnorts gewünscht sei, sei ein Outing somit immer mit dem Risiko des sozialen Ausschlusses verbunden. „Doch warum muss ich mich überhaupt outen? Ich will einfach so leben, wie ich bin“, stellt Weiß die Notwendigkeit eines solchen expliziten Outings in Frage.

Und auch unter Transmenschen gebe es Befangenheiten in Bezug auf die Vernetzung mit anderen Transpersonen: „Es gibt immer wieder Menschen, die Angst haben, in eine ‚Szene‘ abtauchen zu müssen – das ist aber weder hier noch in Bremen der Fall.“

Das Trans*NET OHZ, seine Veranstaltungen sowie Kontaktmöglichkeiten sind unter transnet-ohz.de zu finden. Ilka Christin Weiß‘ Buch „Von einem Leben als Mann – zu einem Leben als Frau. Oder: Haben Sie noch ihren Uterus?“ ist als E-Book für 9,99 Euro oder Taschenbuch für 17,99 Euro erhältlich. ISBN: 978-3-7543-9834-0

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