Bernd Stührenberg auf der Flussinsel Harriersand gibt seinen Tieren seit einer Woche wieder Gelegenheit zum Weidegang. Nicht jede seiner rund 120 Milchkühe habe Lust auf die Bewegung im Freien. „Manche bleiben auch ständig im Stall stehen“, hat Stührenberg beobachtet. Über seine Tiere weiß der 56-Jährige alles, auch weil hochmoderne Technik bei deren Überwachung hilft. Ein Chip um den Hals verrät sogar die Zeitspanne des Wiederkäuens, fällt die Rate unter 350 Minuten am Tag, gibt der Computer ein Warnsignal an die Landwirte.
Spätestens alle zwölf Stunden müssen Kühe gemolken werden, bei Stührenbergs kommen die Rinder der Rasse Holstein-Friesian im Durchschnitt zweieinhalb Mal pro Tag an den Melkstand, so registriert es der Computer. Dort treffen sie auf einen vollautomatischen Roboter, der steht rund um die Uhr bereit, reinigt die Euter, setzt das Melkgeschirr an und prüft sogleich die Qualität der abgegebenen Milch. Weichen die Messdaten vom wünschenswerten Zustand ab, landet die Milch gar nicht erst im Tank und der Bauer wird verständigt, kann das Tier auf Krankheiten prüfen.
Frisch gemolken geht es zum Weidegang
Kraftfutter dient der Melkmaschine als Lockmittel, gleichzeitig wird dessen Menge gesteuert, jede Kuh kann nur den für sie individuell berechneten Bedarf „abholen“. Stührenbergs Milchkühe geben je Tier und Jahr im Durchschnitt 9.100 Liter Milch, „4.700 Liter davon alleine aus dem Grundfutter“ so Stührenberg und spricht von Gras und Mais, Silage können die Tiere am Futtertisch des Boxenlaufstalls ständig aufnehmen.
Bei einem Tag des offenen Hofes zeigten Ulrike und Bernd Stührmann vergangenen Sonntag ihren Betrieb, den sie gemeinsam und ohne weiteres Personal betreiben können. Wie ihre Berufskollegen klagen auch sie über die niedrigen Erzeugerpreise für das von ihnen erzeugte Lebensmittel, „man ist abends ärmer, als am Morgen“, stöhnt Bernd Stührenberg.
Besucher beeindruckt vom Tierwohl
Die Besucher am Sonntag staunten über Technikeinsatz und so hervorgerufenes Tierwohl. Stührenbergs Vieh hat jederzeit die Möglichkeit, die den Hof umgebenden Weiden aufzusuchen. Dazu müssen sie allerdings ein Selektionstor durchschreiten, das wiederum mit Sensoren ausgestattet ist. Neben der Datensammlung, welches Tier zu welchen Zeiten ins Freie geht, kann die Steuerung auch den Austritt versagen. Nämlich dann, wenn die Kuh bald an den Melkstand muss, dafür bekommt sie dann sozusagen Bedenkzeit eingeräumt. Einmal am Tag, gegen 16, 17 Uhr treibt Stührenberg alle Tiere zurück zum Stall, danach oder nach dem Melken, können sie ihren Aufenthaltsort wieder selbst bestimmen, auch während der Nacht.
Die Weiden auf der Insel Harriersand gelten als besonders saftig, Stührenberg achtet durch die Wechselbeweidung darauf, dass die Grasnarbe intakt bleibt. Durch die richtige Beweidung stehen die Narben besonders dicht, durch Nachsaaten werden die vom Landwirt gewünschten Gräser in ihrem Wachstum bevorzugt. Stührenbergs verfügen über eine Fläche von 55 Hektar, die sie für den wechselweisen Umtrieb nutzen.
Es muss bei der Milch nicht immer „Bio“ sein
Die Freiheit, die er jedem Tier lässt, nach Belieben an den Melkstand zu kommen und Weidegang in Anspruch zu nehmen, mache die Rinder zufrieden und auch sehr friedlich, so Stührenberg. „Es muss nicht immer Bio sein“, lacht er, wenn er an die Reaktionen der Besucher beim Tag des offenen Hofes denkt. „Die Leute konnten sich von der guten Haltung und der Gesundheit meiner Kühe in konventioneller Haltungsform überzeugen.“
Seit 1936 wird der Hof in drei Generationen auf Deutschlands größter Flussinsel betrieben. Stührenbergs Sohn hat sich selbstständig gemacht und stellt sich nebenan mit einem Lohnbetrieb in den Dienst der Landwirtschaft. Seine Spezialität ist die Ausbringung von Gülle mit speziellem Gerät. Der Stickstoff wird nicht einfach auf den Weiden verteilt, sondern eingeritzt, „der Dünger gelangt direkt an die Wurzeln“, so Stührenberg, das sei umweltschondend, allerdings würde die Methode auch kostenintensiver sein. Die Grenzwerte der Düngeverordnung treffen Stührenberg besonders, die erlaubte Menge an Gülleeintrag sei geringer als der Düngebedarf seiner Flächen, so dass er gezwungen sei, zusätzlich Kunstdünger auszubringen.