Gäste befördert „Molly“ eigentlich nicht mehr, dafür ist sie mit 117 Jahren sicherheitstechnisch etwas aus der Zeit gefallen. Doch fahren kann sie noch, das bewies sie heute zum 125. Geburtstagsfeier der elektrischen BSAG-Straßenbahnen. So bummelte die alte Dame von der Domsheide bis zum Fototermin an der Schleife am Bürgerpark – ganz stilecht, mit gemütlichen 30 Stundenkilometern Spitze.
Fast wie damals, im Jahr 1900, als sie die Strecke Martkplatz – Hauptbahnhof – Horn befuhr – komplett elektrisch betrieben, ohne Hilfe von Pferden. Eine Revolution zu der Zeit. Mit an Bord: Auszubildende der BSAG und Mitglieder des Vereins „Freunde der Bremer Straßenbahn AG“, die „Molly“ nach monatelanger Arbeit, wieder so aussehen ließen, wie am ersten Tag.
Ann-Kathrin Heineke und Carina Wendel, beide im ersten Ausbildungsjahr, sorgten für den historisch akkuraten Anstrich. In monatelanger Feinarbeit spachtelten sie die spärlichen Farbüberreste von den Seitenwänden, um dann die Originalfarbe aufzutragen.
1962, acht Jahre nachdem „Molly“ in Rente gegangen ist, gab es schon mal einen ersten Restaurationsversuch. Nur die Farbe damals, die auf Erinnerungen von Zeitzeugen beruht, traf nicht ganz den richtigen Ton – er war heller als in den Einsatztagen zur Jahrhundertwende.
Ein historischer Fund aus dem Jahre 2007 änderte alles: In einem Kleingartengebiet in Walle fand man einen antiken Pferdewagen. Er hatte noch genau die gleiche Farbe, wie die Bahnen zu der Zeit.
Was nach dem Fund folgte, lässt sich gemeinhin als solide Detektiv-Arbeit bezeichnen. „Freunde der Bremer Straßenbahn AG“ analysierten die farbigen Teile des Pferdewagens, um den perfekten Ton zu treffen. Anders ging es nicht: Farbfotos von der Bahn sind non-existent.
Doch der Aufwand hat sich gelohnt: Von außen erstrahlt die Bahn im schicken Oliv-Grün, mit historisch korrekten Schriftzügen an der Seite. Drinnen verströmen fein verzierte Holzbänke einen Duft wie zur Jahrhundertwende. Es muffelt etwas. Doch drum herum befinden sich gelb-milchige Fenster, die sich alle kippen lassen, so dass den Gästen frischer Fahrtwind um die Nase wehen kann.
„Man brauchte einen gut gepolsterten Hintern, gerade für längere Fahrten“, erzählt Gerd Borcherding, zweiter Vorsitzende der Bremer Straßenbahnfreunde, und deutet auf die Holzbänke. Zur Feier des Tages trägt er historische Mütze und Schaffner-Anzug – so wie damals sein Großvater.
1896 stand dieser vorne am Steuerpult, außerhalb des Wagons, ungeschützt bei Wind und Wetter. „Da brauchte man ein dickes Fell“, schmunzelt Borcherding. Erst in den 1920er-Jahren baute man um das Fahrerpult Fenster und Türen – und in die Fahrgastwagen Heizungen.
Wer hautnah erleben möchte, wie sich Reisende damals fühlten, sollte sich den kommenden Sonntag, 30. April, vormerken. Dann lässt sich „Molly“ live in Aktion erleben. Zusammen mit ihren Kumpels „Zigarre“ und „Ackerwagen“, ebenfalls historische Gefährte, pendelt sie die durch die Stadt – zwischen der Innenstadt (Domsheide) und Horn-Lehe.
Von etwa 12.00 bis 17.00 Uhr befahren sie alle Haltestellen unterwegs. Mitfahren kann man bei „Molly“ nicht direkt, bei den anderen aber – und das zu den gewohnten VBN-Tarifen. Weiter Infos finden sich unter: www.fdbs.net