Sa‘id, ein neunjähriger Junge, dem der Schalk im Nacken sitzt, läuft gerade durch den Flüchtlingstreffpunkt B5 – er will die Luftballons, die eigentlich zu Jonglierbällen werden sollen, zu Wasserbomben umfunktionieren und grinst schon in Vorfreude. „Aber nur draußen“, mahnt Flüchtlingshelferin Ude Sydow. Sa‘id nickt – klar, nur draußen.
Der Neunjährige, der hier fröhlich herumläuft, hat zuhause nicht viel Platz dafür. Um genau zu sein: Gar keinen. Gemeinsam mit seiner Mutter und seinem 13-jährigen Bruder lebt er auf etwa elf Quadratmetern in einem Raum. Ein Schullandheim hätte mehr Komfort.
17 Monate ohne ein Ende in Sicht
„Das geht alles eine Zeit“, meint Ahmed Muraita, ein Freund der Familie. „Meine Frau, mein Sohn und ich haben auch so gelebt“, erzählt der Syrer, „aber nur zwei Monate.“ Für Marzoun Bastoni und ihre Jungs sind es jetzt 17 Monate. Ein Ende ist noch nicht in Sicht.
Während Muraita auf Deutsch ihre Geschichte erzählt, sitzt Bastoni die meiste Zeit ernst daneben und schweigt, ihre Arme verschränkt. Nun aber packt es sie doch, sie gestikuliert und klagt ihr Leid auf Arabisch.
Stuhr ist Bremer Speckgürtel
Muraita übersetzt. „Ich möchte nur leben – aber richtig leben“, so Bastoni. „In der Nacht überlege ich nur: Wann kann ich in Ruhe mit meinen Kindern wohnen.“ Ganz leicht wird das nicht – in Stuhr herrscht Wohnungsmangel.
Bremer nutzen Stuhr als Speckgürtel, nirgendwo im Landkreis ist laut dem Diepholzer Wohnraumversorgungskonzept das Interesse an Mietwohnungen größer. Gerade bei preisgünstigen Wohnungen gibt es für alle Wohnungsgrößen zu wenig Angebote.
„Es gibt keinen Platz, für nichts“
Zudem ist Bastoni auch nicht frei, überall hinzuziehen – die Familie hat kein Auto, und Ahmad geht in Brinkum zur Schule. Der Dreizehnjährige ist ein aufgeweckter Junge, der offen davon erzählt, wie es sich auf kleinem Raum lebt.
„Es gibt keinen Platz, für nichts“, sagt er. „Mein Freund wollte kommen – aber ich kann dort nicht spielen. Konzentrieren auch nicht“, erzählt er. Nicht nur das kleine Zimmer, auch das Flüchtlingsheim selbst kann eine Belastung sein.
Ahmad passt auf seinen kleinen Bruder auf
„Es gibt viele laute Menschen, jede Stunde werde ich wach“, erzählt Ahmad. Beim Duschen ist das Wasser kalt, weil andere Mitbewohner es haben laufen lassen – sofern morgens vor der Schule überhaupt Zeit für die Dusche ist, denn oft ist das Bad besetzt.
Ahmad hat früh Verantwortung übernommen. Er weiß, dass sein kleiner Bruder noch viel Hilfe braucht und passt auf ihn auf. Manchmal fährt er mit seinem Rad durch die Stadt. Aber ansonsten schüttelt er auf die Frage, ob er nicht manchmal alleine sein möchte, den Kopf.
Von Krieg und Angst
„Nein, ich will immer mit meiner Mutter und meinem Bruder sein.“ Beide scheint er dabei auch zu beschützen und zu verteidigen. „Sie war Sekretärin, sie war sehr gut, super gut“, berichtet er über seine Mutter und ergänzt: „Weißt du, warum sie kein Deutsch spricht? Weil sie sich nicht konzentrieren kann.“
Er überlegt ein wenig. „Ich möchte hier in Deutschland arbeiten“, erklärt Ahmad dann. „In Syrien hatten wir Angst, weil“, er sucht das richtige Wort, „weil Krieg war.“ Deutschland dagegen sei sicher. Aber: „Immer, immer meine Mutter weint in der Nacht.“
Auch Sydow hat schon versucht, eine Wohnung für die kleine Familie zu bekommen. Dass es ihr bisher nicht gelungen ist, tut ihr weh: „Ich versuche immer, die Wohnungen dahin zu vergeben, wo die Not am größten ist“, erzählt sie. „Hier hatte ich keinen Erfolg.“ Aufgeben mag sie aber nicht: „Irgendwann findet sich jemand.“