Prozess um verhungerte Frau: Erste Zeugen befragt

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Fünf weitere Verhandlungstermine sind angesetzt. Foto: hb

Im Prozess gegen einen 50-jährigen Mann aus Thedinghausen-Morsum und seine 18-jährige Tochter, die wegen gemeinschaftlichen Mordes an der 49-jährigen Ehefrau und Mutter vor Gericht stehen, sind erste Zeugen vernommen worden. Aussagen offenbaren, wie gestört die Familienverhältnisse über Jahre hinweg gewesen sein müssen.

Eine auf 26 Kilo abgemagerte tote Frau, in ihren eigenen Exkrementen und mit offen gelegenen großen Wunden an Rücken und Beinen auf dem Sofa im Wohnzimmer der Morsumer Familie liegend. Madenbefall an der Leiche. „Den Geruch kann man nicht beschreiben“, sagte eine Polizeibeamtin aus, die zusammen mit einem Kollegen am Abend des 19. März dieses Jahres in das Zweifamilienhaus gerufen worden war, weil eine Notärztin nicht an eine natürliche Todesursache glaubte.

Das ist die schockierende Ausgangslage, von der aus die Vorfälle innerhalb der Familie vor dem Verdener Landgericht akribisch untersucht und in verschiedene Richtungen beleuchtet werden müssen.

Anklage: Mord durch Unterlassen


Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Ehemann und Tochter die alkoholkranke Frau aus Hass und um Rache an ihr zu nehmen ihrem Schicksal überlassen haben, seit die 49-Jährige sich bei einem Sturz die Hüfte gebrochen habe. Sie habe über Wochen nur noch hilflos auf dem Sofa liegen können, wo sie unter den Augen der Angehörigen unter großen Schmerzen verhungert und verdurstet sei.

Vor Gericht haben sich die Angeklagten bislang nicht zu der Sache geäußert. In einer ersten polizeilichen Vernehmung hatte der Ehemann angegeben, seine Frau sei am 19. März verstorben. Seine in der zweiten Wohnung des Hauses lebende Mutter will die Verstorbene sogar eine Woche zuvor noch im Treppenhaus gesehen und Tage darauf in der Wohnung über sich umhergehen gehört haben. 

An diesen Schilderungen bestehen offenbar erhebliche Zweifel, folgt man der Anklage. Auch der Obduktionsarzt soll daher im Laufe der Verhandlung noch aussagen.

Auf dem Sofa bei der Leiche fand die Polizei Reste trockenen Brotes und Wurststücke sowie einen Becher mit Wasser daneben auf dem Tisch. Seine Tochter habe sich um die Versorgung der Frau gekümmert, hatte der Ehemann laut Polizeiprotokoll angegeben.

Alkoholkonsum „muss extrem gewesen sein“


Vor Gericht schilderte der Hausarzt der Familie bereits gesundheitliche Folgen des langjährigen Alkoholismus‘ der Ehefrau. Seit 2004 habe er die Morsumerin regelmäßig stark nach Alkohol riechend erlebt, wenn sie ihn aufsuchte. 

Der schleichende körperliche Abbau der ohnehin schmächtigen Frau sei ihm über die Jahre nicht entgangen. Als er sie zuletzt gesehen habe, sei sie extrem abgemagert und in einem bedenklichen Zustand gewesen. Bereits 2011 hatte er bei seiner Patientin, die er auch wegen zu hohen Blutdrucks behandelte, Austrocknungserscheinungen, Mangelernährung und Wundliegen festgestellt. 

„Meiner Meinung nach muss ihr Konsum extrem gewesen sein“, sagte der Arzt. Darauf angesprochen, habe seine Patientin stets abgeblockt. „Sie hat blockiert. Sie hat nie zugegeben, dass sie ein Alkoholproblem hatte.“ 

Fünf Krankenhaus- und teilweise Psychiatrie-Einweisungen soll die Verstorbene hinter sich gehabt haben. Suizidgedanken soll sie aber nie geäußert haben. Auch ihre Familienmitglieder hatten das der Polizei gegenüber verneint.

Gestörte Familienverhältnisse


Die angeklagte Tochter, die in seiner Praxis 2014 auch ein Praktikum absolviert hatte, beschrieb der Arzt der Familie als „schüchtern“ und „verschlossen“. Ihr hatte er einmal eine „familienbezogene Störung des Sozialverhaltens“ attestiert. 

Wegen der Konflikte in der Familie hatte zudem das Jugendamt eine Sozialpädagogin eingesetzt, um Kontakt mit der Heranwachsenden aufzunehmen. Sie sagte aus, die Tochter habe teilweise auch Angst vor dem dominanten Vater gehabt. Dass eine von ihm ausgehende häusliche Gewalt die Familienbeziehungen zusätzlich belastet haben soll, klang im Prozess schon mehrmals an.

Auch der Ehemann soll ein Alkoholproblem haben. In einem „extrem ungeordneten Haushalt“ und „vermüllten Räumen“ fanden ihn die Polizeibeamten am 19. März mit gemessenen 2,5 Promille Atemalkohol vor. In der Wohnung fand man zudem leere Whisky-Flaschen. 

Die Tote selbst soll seit einem halben Jahr trocken gewesen sein, gaben die Familienmitglieder gegenüber der Polizei damals an. Der Mann habe sehr viel geweint. Seine Tochter, die zunächst in ihrem Zimmer gepuzzelt und erst durch den Polizeieinsatz den Tod der Mutter mitbekommen haben will, sei sehr gefasst gewesen und habe unverständliche Worte des weinenden Vaters „übersetzt“, so die vom Gericht befragte Polizistin. 

Ein geradezu absurdes Verhalten habe die Tochter dann damit gezeigt, dass sie noch Sachen für eine am nächsten Tag anstehende Ostseereise packte. Ob ihr Verhalten Ausdruck von Teilnahmslosigkeit oder durch einen Schock bedingt war, vermochte die Zeugin jedoch nicht zu beurteilen.

Verteidigung bestreitet Tötungsvorsatz


Die beiden Angeklagten ließen selbst während der Schilderung kaum erträglicher Details zum Leichenfund fast keine Gefühlsregung erkennen. Vater und Tochter suchten oft Blickkontakt, wechselten kurze Worte miteinander und umarmten sich in einer Verhandlungspause.
Ihre Anwälte bestreiten, dass Vater und Tochter den Tod der 49-Jährigen gewollt hätten. 

Die Anklage auf Mord durch Unterlassen ist aus ihrer Sicht nicht haltbar. Den Angehörigen sei allerdings vorzuwerfen, nicht früher einen Arzt eingeschaltet zu haben. Der Ehemann werde an einem der nächsten Verhandlungstage noch persönlich aussagen. 

Der Prozess wird am 13. Oktober fortgesetzt. Das Urteil soll am 17. November gesprochen werden.

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