Die ersten Zelte stehen bereits am Überseetor. Fotos: pv |
300 Plätze in der Überseestadt, 300 Plätze in Oberneuland und 400 Plätze im Technologiepark: Neben Fallturm und Werdersee entstehen augenblicklich drei neue Zelt-Massenunterbringungen in Bremen.
Bereits seit Monaten sucht das Sozialressort händeringend nach weiteren Unterkünften für erwachsene und jugendliche Geflüchtete. Hintergrund sind die massiv gestiegenen Zugangszahlen.
„Diese bewegen sich für ganz Deutschland auf einen historischen Höchststand zu. Bis 600.000 Menschen – das scheint mir durchaus vorstellbar. Wenn man die Entwicklung der vergangenen Jahre fortschreibt, hieße das für Bremen 6.000 Flüchtlinge im Jahr 2015“, sagt Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne). Hinzu kommen bis zum Ende des Jahres noch rund 1.500 minderjährige Flüchtlinge ohne Begleitung.
In Kürze könnten rund 1.150 Geflüchtete in Zelten untergebracht sein
Die Zelte werden im Innern in „Zimmer“ unterteilt. |
Dennoch reagierte die Öffentlichkeit überrascht, als Stahmann vor wenigen Wochen erstmals mit ihrem Grundsatz brach, Flüchtlinge niemals in Zelten unterbringen zu wollen. Als Reaktion auf die unzumutbaren Zustände in der ehemaligen Zentralen Aufnahmestelle (wir berichteten) wurde zunächst ein Zelt für rund 30 minderjährige Flüchtlinge am Werdersee errichtet. Es folgte ein weiteres für maximal 120 am Fallturm.
Doch diese zwei Standorte waren erst der Anfang. Ab sofort setzt Bremen massiv auf eine Unterbringung in Zelten. Dr. Bernd Schneider, Sprecher des Sozialressorts, bestätigte, dass zurzeit ein Standort für 300 Flüchtlinge am Überseetor entstehe. Außerdem sollen zukünftig 300 weitere Geflüchtete in Zelten am Büropark Oberneuland sowie insgesamt 400 Flüchtlinge an zwei Standorten im Technologiepark der Universität untergebracht werden. Zusammen mit den bereits bestehenden Provisorien könnten in Kürze rund 1.150 geflüchtete Menschen in Zelten untergebracht sein.
Schröder: „Bremen unterwandert hier sämtliche Standards“
Am Standort in der Überseestadt sollen bis zu 300 Flüchtlinge in Zelten untergebracht werden. |
Anna Schröder von der Flüchtlingsinitiative sieht diese Entwicklung mit Sorge: „Seit Jahren weisen wir darauf hin, dass es nicht genügend sozialen Wohnraum in Bremen gibt. Doch darauf wurde nicht reagiert. Die so entstandenen Sachzwänge werden jetzt genutzt, um die völlig indiskutable Unterbringung von Geflüchteten in Zelten zu rechtfertigen. Bremen unterwandert hier sämtliche Standards, die es sich einmal selbst gesetzt hatte.“
Ob diese Lösung langfristig Erfolg haben kann, ist zweifelhaft. Schneider stellt einen Abbau der Zelte im Herbst in Aussicht. Doch wo sollen die Menschen dann hin? Weitere Supermärkte wie in Hastedt oder Baumärkte stünden zurzeit nicht zur Verfügung, so der Ressortsprecher.
Leonidakis: „Das grenzt an Systhematische Kindeswohlgefährdung“
Über die Auswirkungen der Verwahrung von Menschen in solchen Massenunterkünften klagt Sofia Leonidakis, Bürgerschaftsabgeordnete der Linken: „Es gab in den vergangenen zwei Wochen mehrere Selbstmordversuche von jungen Flüchtlingen in der ehemaligen ZAST und in der neuen Erstaufnahme für Jugendliche im Paradice. Wir können sicher von zwei Vorfällen sprechen, aber es ist möglich, dass es bis zu fünf waren. Das grenzt schon an systematische Kindeswohlgefährdung.“
Aus Kreisen des Paradice-Trägers sowie der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Beratungsstelle wurde gegenüber dem WESER REPORT von „drei bis fünf“ versuchten oder angedrohten Selbsttötungen gesprochen.
Sozialressort: „Selbstverletzendes Verhalten“
Schneider bestätigte in diesem Zusammenhang lediglich einen Fall von „selbstverletzendem Verhalten“ im Paradice. „Nach langer Flucht ist es sicherlich sehr verkürzt, solches Verhalten auf die wenigen Tage, die ein junger Mensch in Bremen untergebracht war, zurückzuführen“, betont Schneider.