Von Jens Fischer
Frühling. Die Zweiräder sind aus dem Keller geholt, geputzt und zur Inspektion eingeliefert. Es gilt Schrauben nachzuziehen, die Kette zu ölen, Schaltung zu justieren, Reifen aufzupumpen. Und los geht es? Vielfach stellt der Experte in den Werkstatt erhöhten Sanierungsbedarf fest, manchmal gar wirtschaftlichen Totalschaden, für den eine kaschierende Reparatur nicht mehr lohnt. So wird Lust geweckt, endlich ein neues Gefährt anzuschaffen.
Der Umsatz mit Fahrradverkäufen steigt seit zehn Jahren. Allein 2018 betrug er in Deutschland 3,16 Milliarden Euro, 16 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Der Absatz nahm nur um 8,6 Prozent auf 4,18 Millionen Stück zu, vermeldet der Verband des deutschen Zweiradhandels. Das heißt, es wird vermehrt in die immer höherwertigen Produkte investiert. Und natürlich in die teuren E-Bikes und Pedelecs.
Wie sich das auf den stationären Handel auswirkt, der die pure mechanische Poesie des Radelns unterstützt? Der 41-jährig Jan Vandlet kennt die Antwort. Nachdem er ein Jahrzehnt für seinen Lebensunterhalt als Fahrkurier durch Bremen gerast war, ließ er sich bei „Fahrradfeinkost“ zum Fahrradmechaniker ausbilden. Seit 2008 residiert der Shop an der Wachmannstraße 45.
Räder werden häufig repariert
Schleichend sei der Verkauf von Rädern im Einzelhandel zurückgegangen, hat Vandlet beobachtet. Der Trend zu größeren Anbietern halte an, und auch die Umsätze im Internet hätten wie in allen Handelsbranchen zugenommen. Zudem würden Leihradangebote sowie die mit einem Rad-Leasing verbundenen Service-Pakete gern angenommen – und damit Neukaufgelüste vermindert.
Vor acht, neun Jahren habe „Fahrradfeinkost“ rund 500 Räder pro Jahr verkauft, jetzt seien es halb so viele. Gerade bei den Mittelpreisigen, 600 bis 900 Euro, gebe es einen Einbruch. Das Geschäft mit dem Zubehör sei eine fast zu vernachlässigende Größe.
„Erfreulicherweise werden die Räder aber häufiger repariert“, so Vandlet, „so kann unsere Werkstatt die fehlenden Verkaufsumsätze mehr als ausgleichen.“ Wenn in Wintermonaten manchmal nur ein Platten für 15 Euro am Tag zu beseitigen ist, kämen derzeit bis zu 50 Kunden täglich mit großen und kleinen Aufträgen in die Werkstatt.
Körper ausmessen für individuellen Stahlrahmen
Etwa ein Zehntel der verkauften Bikes, Tendenz steigend, seien inzwischen Individualaufbauten, sagt Vandlet. Vor allem ältere Kunden leisten sich diesen Luxus im Segment der Eingang-, Reise- und Stadträder. Beliebtester Wunsch? „Das optisch sportliche, aber auch für den Alltagsgebrauch taugliche Rad“, erklärt der Fachmann. Also Drahtesel, mit denen auch der Nachwuchs auf dem Kindersitz in die Kita oder der Einkauf nach Hause transportiert werden kann.
„Kunden haben immer irgendwo was gesehen, was ihnen gefiel, bringen zudem viel Fantasie und ganz persönliche Wünsche mit. Meist geht es dabei um Optik, selten um spezielle Tretlager, Speichen oder Felgen“, so Vandlet. Er stellt dann erstmal grob das Materialpuzzle zusammen, 30 bis 50 Teile seien es pro Rad.
Wer es besonders individuell mag, lässt seinen Körper ausmessen, so dass aufgrund dieser Daten in Italien, bei Tommasini, der Stahlrahmen seines Velocipeds per Hand geschmiedet werden kann. Kostenpunkt: 2.500 Euro. Ein guter 08/15-Rahmen aus der Industriefertigung ist für 400 Euro zu haben. Und so geht es weiter. Der Kunde kann eine CNC-gefräste Klingel für 70 Euro anbringen lassen, aber auch ein Modell für 5 Euro wählen.
„Wir kennen den Markt“
Richtig viel Auswahl gibt es bei Sätteln. „Die muss man ausprobieren, nicht nach Design kaufen“, so Vandlet, „ich erkenne schon anhand der Gesäßform, was da funktionieren könnte.“ Dann wird ein Blick in die Kataloge geworfen, wo etwa 1.000 Modelle vorrätig sind.
Ein individuell zusammengebasteltes Reiserad, mit herkömmlichem Rahmen, kostet bei Fahrradfeinkost etwa 3.000 Euro, „ähnliche Räder im Internet vielleicht 2.700 Euro“, sagt Vandlet. Kein großer Unterschied. Die Bauteile hätten halt überall den gleichen Preis, so die Begründung, nur seien die Arbeitsstunden in Deutschland teurer als in China, wo die meisten Räder zusammengebaut würden.
Vier, fünf Stunden für den Totalaufbau rechnet Vandlet, hinzu kommt die Zeit für Beratung, Service und Organisation. „Wichtig ist, wir kennen den Markt, können für jedes Kundenbedürfnis die besten Teile auswählen, vieles ausprobieren lassen, das gibt es im Internet nicht.“