Die Hürden auf dem Weg zum Zertifikat als psychosozialer Prozessbegleiter sind hoch: Claudia Specht hat es. Foto: Piontkowski Die Hürden auf dem Weg zum Zertifikat sind hoch: Claudia Specht hat es. Foto: Piontkowski
Opferhilfe

Kein Wort über die schlimme Tat

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Claudia Specht ist eine von acht psychosozialen Prozessbegleitern, die in Bremen zugelassen sind.

Besonders schutzbedürftige Opfer von Straftaten sind bei Claudia Specht und ihren Kollegen an der richtigen Adresse. Dazu gehören neben Kindern und Jugendlichen insbesondere Menschen mit Behinderungen oder psychischen Beeinträchtigungen, Opfer von Sexual- und Gewalttaten, von Menschenhandel oder Hasskriminalität. „Wir begleiten die Verletzten zu Gerichtsverhandlungen und Vernehmungen, erklären den Ablauf eines Strafverfahrens und fordern Schutzmaßnahmen für die Opfer ein“, beschreibt Claudia Specht die Aufgaben der psychosozialen Prozessbegleiter.

Mit Zauberwürfel und Wasserflasche beruhigen

Auch Angstbewältigung und Maßnahmen zur Reduzierung von Belastungen gehörten dazu. Was das genau ist, sei einzelfallabhängig, so Specht. „Ich habe vor Gericht schon alles erlebt, auch den kompletten Zusammenbruch eines Zeugen“, sagt die Psychotherapeutin. In solch einem Fall wirke sie darauf hin, dass es zu einer Unterbrechung der Verhandlung komme, damit der Zeuge sich erholen könne. Zur Beruhigung ihrer Klienten hat sie immer einen Zauberwürfel und eine Flasche Wasser dabei.

Neutrale Rolle: Zeugen stabilisieren

Ganz wichtig seien für die Opfer entlastende Gespräche. „Aber keine Gespräche über die Straftat selber, das ist ganz wichtig“, fügt sie hinzu. Denn jedes Gespräch über die Tat berge auch die Gefahr der Beeinflussung des Zeugen.

Psychosoziale Prozessbegleiter hätten jedoch eine neutrale Rolle gegenüber dem Strafverfahren. Anders als Opferhilfeverbände stünden sie nicht auf der Seite der Verletzten. Ihre Aufgabe sei es, die Zeugen zu stabilisieren und die Belastungen, die von einem Strafverfahren ausgehen, zu reduzieren. Sie haben kein Zeugnisverweigerungsrecht aus beruflichen Gründen. „Wenn uns ein Verletzter also etwas über die Tat selber berichtet, müssten wir dazu vor Gericht Angaben machen“, erläutert sie.

Das wäre für die weitere Begleitung eher problematisch. Viele Opfer seien aber auch froh, dass sie den psychosozialen Prozessbegleitern „ihre Geschichte“ ihr nicht noch einmal erzählen müssten, erläutert Claudia Specht.

Zusätzliche Unterstützung

Die psychosoziale Prozessbegleitung wurde im Jahre 2017 neu in das Strafverfahrensrecht aufgenommen. Sie ist eine zusätzliche Unterstützung neben der anwaltlichen Vertretung und der Betreuung durch Opferhilfeorganisationen wie dem Weissen Ring. Besonders verletzliche Opfer haben sogar einen Rechtsanspruch auf gerichtliche Beiordnung eines psychosozialen Prozessbegleiters. In diesem Fall ist die Inanspruchnahme für sie kostenlos.

Die Anforderungen an die Arbeit sind hoch. Voraussetzung sind ein Studium oder eine vergleichbare Ausbildung in Psychologie, Sozialpädagogik, Pädagogik oder sozialer Arbeit, eine mindestens zweijährige Berufserfahrung und der erfolgreiche Abschluss einer Weiterbildung zur psychosozialen Prozessbegleitung. Claudia Specht wurde durch einen Zeitungsartikel auf das Ausbildungsangebot zur psychosozialen Prozessbegleitung aufmerksam.

Zum psychosozialen Prozessbegleiter weitergebildet

Neun Monate dauerte die Ausbildung. Neben rechtlichen Anteilen beispielsweise über die Rolle der Beteiligten in einem Strafverfahren lernte sie auch viel über Aussagepsychologie, Viktimologie, Kriminologie, Rechtsmedizin und das Opferhilfesystem in Bremen. Besonders beeindruckt haben Claudia Specht die Prozessbeobachtungen in der Weiterbildung.

Ihr erster Praxisfall hatte es in sich: ein Tötungsdelikt mit zwei Opfern. „Durch meine Anwesenheit habe ich dem Zeugen Schutz und Sicherheit gegeben“, beschreibt sie ihre Rolle. Vor und nach dem Verfahren habe sie ihren Klienten im Zeugenbetreuungszimmer beruhigen können und so mit dazu beigetragen, dass dieser in der Lage war, eine Zeugenaussage zu machen. Sie war es auch, die nach Rücksprache mit ihrem Klienten das Gericht darauf aufmerksam machte, dass der Zeuge Schwierigkeiten mit dem gerichtlich bestellten Dolmetscher hatte.

Wie kommt Claudia Specht, die im Hotelfach und als Assistentin der Geschäftsleitung in großen Industrieunternehmen gestartet war, selber mit der Belastung durch die psychosoziale Prozessbegleitung klar? „Ich gehe zur Supervision“, sagt die Psychotherapeutin. Außerdem entspannt sie sich bei der Arbeit in ihrem Garten in Oberneuland.

von Gabi Piontkowski

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