In Bremen ist es für viele Menschen die fünfte Jahreszeit – diese eine Woche im Winter, in der Sport und Show zu einem großen Event verschmelzen. Vom 9. bis 14. Januar machen die Sixdays in der Hansestadt Station. Zeit, dass sich was dreht.
Wenn Hans-Peter Jakst durch die Katakomben der Bremer ÖVB-Arena schlendert, dann tauchen in seinem Kopf die Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit auf. Seine Zeit. Die ganz große Zeit der Sechstagrennen. Als die Zuschauer vor allem wegen des rassigen Sports und der Helden auf dünnen Reifen in die Hallen strömten.
„Das war schon toll. Zumal Bremen das bestbezahlte Rennen und außerdem das mit den meisten Zuschauern war“, sagt Jakst, während er eine Tür zu einem unscheinbaren Raum im Umlauf der Arena öffnet. Ein paar Tische und Stühle sind hier momentan verstaut. „Jaaaa,“, holt der 65-Jährige aus, „aber damals…“ und hält kurz inne. „Damals haben wir hier geschlafen. Früher duften die Fahrer die Halle nämlich tatsächlich während der kompletten Sixdays nicht verlassen. Ansonsten wäre man disqualifiziert worden.“
Nächte wie in der Jugendherberge
Was heute im modernen Profisport unvorstellbar scheint, gehörte in jener Zeit ganz selbstverständlich dazu. Es waren spartanische Nächte, die die harten Männer mit den schnellen Beinen hier verbrachten. „Das waren nur ganz einfache Pritschen. Wenn du vor den Sixdays hier reingekommen bist, standen da nur die nackten Roste mit einem Schaumstoffüberzug. Unser Bettzeug haben wir sogar selbst von zu Hause mitgebracht“, erzählt Jakst.
Das war dann allerdings auch das einzige, was den Bremer Lokalmatador an die erholsamen Nächte im eigenen Bett erinnerte – ansonsten waren die Sixdays-Nächte eher vergleichbar mit denen in einer überfüllten Jugendherberge. Nichts für zart besaitete Seelen. Aber das sind Radfahrer ja zum Glück von Natur aus nicht.
„Einige haben geschnarcht, andere gefurzt“, lacht Jakst, dem diese Rahmenbedingungen aber nichts anhaben konnten. Er schlief nach den Strapazen eines langen Tages im Lattenoval immer tief und fest.
Fahren bis 4 Uhr in der Früh
Renntage, die für die Pedaleure damals auch noch deutlich länger waren als heute. Gerade in Bremen, dem Mekka der Sechstagerennen, wo mit bis zu 120.000 Zuschauern das meiste Publikum kam und die Fahrer am besten bezahlt wurden. In Bremen waren stets auch alle Nachmittage an Sponsoren verkauft, strömten jeden Tag die Kinder in die Stadthalle und da drehten die Fahrer selbstverständlich auch von 15 bis 18 Uhr unermüdlich ihre Runden.
Danach gab es eine Pause, in der die Sportler essen konnten und sich massieren ließen – und im Anschluss schwangen sie sich wieder für das Abendprogramm in den Sattel und strampelten bis tief in die Nacht – teilweise bis 4 Uhr in der Früh.
„Damals sind wir länger gefahren Das ist natürlich schon ein riesiger Unterschied zu heute. Übrigens nicht nur mehr Stunden und längere Wettbewerbe, sondern insgesamt auch eine Nacht länger“, erzählt Jakst.
Erinnerungen an Legenden
Bei einem Blick in die noch leere Arena kreisen dann auch die Bilder legendärer Fahrer durch Jaksts Kopf. Willy de Bosscher zum Beispiel. Ein Belgier mit Spezialauftrag. „Willy wurde immer als Clown engagiert und fuhr meist am Ende des Feldes. Wenn er wollte, konnte er aber richtig schnell fahren. Das zeigte er dann beim Ausscheidungsfahren, wenn er sehr zur Freude der Zuschauer immer wieder kurz kurz vor knapp antrat und noch schnell einen Rivalen überholte und so im Rennen blieb“, erzählt Jakst, für den es bei 25 Sixdays-Teilnahmen zwischen 1977 und 1982 – darunter vier Starts in der Bremer Stadthalle – zwar nie zu einem Titel reichte, der aber dennoch einige Erlebnisse für die Ewigkeit sammelte.
Wie 1979. Jakst hatte im Vorfeld der Sixdays mit Tempoeinheiten hinter einem Motorroller unglaublich hart trainiert und war super drauf. Als dann Partick Sercu und Rene Pijnen ausrissen klemmte sich der Lokalmatador dahinter.
„Die konnten so was von schnell fahren, das war gewaltig“, bemerkt er immer noch mit Ehrfurcht in der Stimme. So schnell, dass Jakst volles Risiko gehen musste, um den Anschluss an das Duo zu halten. „Unter mir waren zwei abgelöste Fahrern. Die hatten zwischen sich eine Lücke von vielleicht einem Meter. Aber ich musste dadurch, weil ich ansosnsten den Kontakt zu Sercu und Pijnen verloren hätte“, erinnert sich der Routinier, der das Raunen der Zuschauer in dieser haarigen Situation immer noch im Ohr hat.
Nach dem Sturz zurück in den Sattel
Nur einmal hat es Jakst auf der Bahn so richtig erwischt. „Mit doppeltem Salto ins Krankenhaus“, titelte 1978 die Bild-Zeitung. „Na gut, dann wurde eine Nacht neutralisiert und am nächsten Tag saß ich wieder im Sattel“, erzählt Jakst. Richtig schnell fahren und richtig gutes Geld verdienen. Das machten damals die Sechstagerennen für die Fahrer aus. „Finanziell war das damals nicht schlecht“, sagt Jakst, der 1979 alle acht deutschen Sechstagerennen des Winters bestritt. Berlin, Dortmund, München, Bremen, Köln, Hannover, Frankfurt – es war die Hochzeit.
Zu den 24 Fahrern zu gehören, die bei den größten Sechstagerennen der Welt fahren durften, habe ihn immer unglaublich stolz gemacht, sagt Jakst, der den Bremer Sixdays auch in diesem Jahrtausend noch erhalten geblieben ist. Der Ex-Profi ist Sportlicher Leiter des Jedermann-Rennens.
„Eine Veranstaltung mit zwölf Frauen und zwölf Männern, die sich über vier verschiedene Renntage in Deutschland erst qualifizieren müssen und dann bei uns in Bremen in der großen Arena fahren dürfen.“
Auch sportlich sei die inzwischen fünfte Auflage der Jedermänner eine hochklassige Angelegenheit, die von Jahr zu Jahr besser wird“, schwärmt Jakst. Und dass die ambitionierten Amateure in Bremen fast genauso umsorgt werden wie die aktuellen Superstars der Sixdays-Branche, ist für den Ex-Profi eine Herzensangelegenheit.
Mehr Infos rund ums Bremer Sechstagerennen gibt es unter sixdaysbremen.de
Erfolge von Hans-Peter Jakst:
Militär-WM 1975: Dritter im Straßenrennen. Olympische Spiele 1976: Rang 4 im Vierer-Mannschaftszeitfahren über 100 Kilometer. Deutscher Meister 1979 im Straßenrennen der Profis. Teilnahmen bei der Tour de France (1980, Platz 62) sowie beim Giro d’Italia (1977, 1978, 1981). 1981 deutscher Vize-Meister im Straßenrennen und Dritter im Zweier-Mannschaftsfahren. Nach Beendigung seiner Radsportlaufbahn eröffnete Jakst 1984 ein Fahrradgeschäft in Bremen-Osterholz.
Fotos: Schlie, privat