Am 26. November 1943 legten zwei amerikanische Fliegerbomben die Sankt-Marien-Kirche in Trümmer. Foto: Stadtarchiv Delmenhorst
Stadthistorie

Vor 75 Jahren besetzten Engländer die Stadt

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Werner Garbas blickt auf die Nachkriegszeit in Delmenhorst / Bilanz der Kriegszerstörungen vor Ort

Der 20. April 1945 war ein markantes und für die Delmenhorster Geschichte wichtiges Datum. Mit dem Einmarsch und der Besetzung der Stadt durch englische Truppen markiert es vor Ort das Ende des Krieges und der Herrschaft der Nationalsozialisten.

Die Aufnahme von weiten Teilen des Delmenhorster Stadtgebietes wurde von britischen Fernaufklärern am 21. März 1945 hergestellt. Foto: Stadtarchiv Delmenhorst

Bereits am Vortag war der Stab der 15. Panzergrenadierdivision von Stenum aus in Richtung Lilienthal abgezogen. Weitere Einheiten hatten sich hinter die neue Verteidigungslinie im Stadtnorden zurückgezogen. Damit war ein Großteil Delmenhorsts vom deutschen Militär geräumt.

In den frühen Morgenstunden des 20. April endete die über die ganze Nacht hindurch heftige Feuertätigkeit und es kehrte unerwartet eine Ruhepause ein. Kurz nach 10 Uhr marschierte das Derbyshire Yeomanry Erkundungsregiment der 51. Highland Division in die Stadt ein.

Flugabwehrkanone am Stadtrand. Foto: Stadtarchiv Delmenhorst

Durch die Adelheider Straße bahnten sich Panzerspähwagen und Infanteristen ihren Weg. Die Fremdarbeiter und Kriegsgefangenen des Lagers Schützenhof an der Cramerstraße begrüßten die Befreier mit Jubel. Weitere Panzerspähwagen näherten sich über die Wildeshauser und Oldenburger Straße.

Stark beschädigter massiver Deckungsgraben an der Dwostraße. Foto: Stadtarchiv Delmenhorst

Gegen 10.35 Uhr hatten die ersten Panzer den Rathausplatz erreicht. Es fand ein erstes Übergabegespräch statt, alllerdings ohne Spitzenkräfte der Stadtverwaltung und der NSDAP, die sich längst zur gemeinsamen Flucht verabredet und nach Hude abgesetzt hatten.

Die eigentliche Übergabe der Stadt oblag dem kurz zuvor in das Bürgermeisteramt eingesetzten 70 Jahre alten ehemaligen Stadtbaumeister Karl Kühn. Die wenigen zum Dienst erschienenen Beamten und Angestellten der Stadt wurden nach Hause geschickt.

Aufräumungsarbeiten in der Louisenstraße nach dem Luftangriff vom 23. Juni 1941. Foto: Stadtarchiv Delmenhorst

Lediglich im Norden von Delmenhorst kam es noch zu vereinzelten Kampfhandlungen. Kurz darauf kontrollierten die Briten alle wichtigen Straßen und Kreuzungen im Stadtgebiet. Umgehend begannen die Besatzer einige Häuser und Wohnungen zur Unterbringung ihrer Offiziere und Mannschaften zu requirieren.

Bei der Besetzung verhielten sich die englischen Soldaten in ihrer Mehrzahl sehr diszipliniert. Es kam nur in geringem Umfang zu Übergriffen und Ausschreitungen gegen die Zivilbevölkerung.

Ab dem 1. Juni 1945 erhielt die Bevölkerung Informationen und Nachrichten über die „Amtlichen Delmenhorster Mitteilungen“. Foto: Stadtarchiv Delmenhorst

Eine Militärregierung und ein Stadtkommandant übernahmen die Amtsgewalt im Rathaus. Es wurde demokratisiert und entnazifiziert. Um der Bevölkerung die Augen über die KZ-Greuel zu öffnen, wurden am 29. April 1945 über 100 Mädchen, ausnahmslos Angehörige des BDM, zusammengezogen und zum Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stammlager Sandbostel gebracht. Dort mussten sie Aufräumarbeiten leisten und die dort zahllosen Kranken pflegen.

Einer am 16. November 1945 ernannten Stadtvertretung folgte Ende Oktober 1946 der erste gewählte Stadtrat. Schon bald erreichten erste Flüchtlingsströme die Stadt. Die Aufnahme von mehr als 16.000 Menschen wurde über lange Jahre eine der vordringlichsten Aufgaben der Verwaltungsstellen.

Ein Flüchtlingstreck am 25. März 1945. Foto: Stadtarchiv Delmenhorst

Im Frühjahr 1951 bezogen zwei englische Flak-Regimenter die Kaserne an der Wildeshauser Straße. Der Bau der britischen Truppenunterkünfte auf dem ehemaligen Flugplatz Adelheide konnte im Juni 1952 abgeschlossen werden. Zwischen der Brauenkamper und Wildeshauser Straße entstanden zahlreiche Neubauten für die Offiziere der englischen Garnison. Darüber hinaus beschlagnahmten die Briten viele Privathäuser und Wohnungen.

Die letzte britische Einheit verabschiedete sich erst am 3. Mai 1963 mit einer Parade auf dem Hans-Böckler-Platz von der Delmenhorster Bevölkerung.

Mehrfach wurden bei Luftangriffen auf Delmenhorst auch Flugblätter der Alliierten mit Appellen gegen das Hitler-Regime abgeworfen. Foto: Stadtarchiv Delmenhorst

Zieht man eine Bilanz der Luftangriffe auf Delmenhorst, dann lässt sich sagen, dass die Stadt relativ glimpflich davon gekommen war. Von September 1939 bis zum Kriegsende wurde insgesamt 1.454 Mal Alarm ausgelöst, außerdem erfolgten 1.140 Luftschutzwarnungen beziehungsweise Kleinalarme. Unsere Stadt erlebte 71 Fliegerangriffe, 20 Mal verbunden mit dem Abwurf alliierter Flugblätter, gespickt mit Appellen gegen das Nazi-Regime.

Eine Aufstellung der niedergegangenen Bomben verzeichnet nach Aufstellungen des Majors der Schutzpolizei Konrad Kappes 997 Spreng- und 21 Minenbomben. Dazu kamen mehr als 300 Flüssigkeitsbomben, etwa 40.000 Stabbrandbomben und 1.186 Phosphorbrandbomben.

Sofort nach dem Einmarsch der Engländer wurde eine allgemeine
Ausgangssperre für die Bevölkerung verhängt, von der der frisch ernannte
Bürgermeister Kühn ausgenommen wurde. Der formlose Zettel mit handschriftlichen
Zeilen eines britischen Leutnants trägt folgenden Text: „Karl Kuehn Burgomeister of
Delmenhorst has permission to be on the street for the purpose of carrying out his
duties.“ Foto: Stadtarchiv Delmenhorst

Unter den getroffenen Zielen waren 38 Mal Industriebetriebe und Verkehrsanlagen und 18 Mal militärische Objekte. Die Luftangriffe hinterließen 194 völlig zerstörte Gebäude und 551 Häuser mit schweren Beschädigungen.

Neben acht Großbränden bekämpften Feuerwehr und Luftschutzhelfer 55 Mittel- und 84 Kleinfeuer. Insgesamt kamen bei den Bombardements nach den beim Standesamt beurkundeten Sterbefällen in Delmenhorst 89 Menschen ums Leben.

 

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