„Das Schreckliche, das geschehen ist, das passierte nicht irgendwo in der Welt, sondern auch genau vor unserer Haustür“, sagt Sören Kück. Der Auszubildende bei der Volksbank Osterholz-Bremervörde sitzt im Seminarraum der Gedenkstätte des ehemaligen Lagers Sandbostel. Holzbaracken auf dem Gelände zeugen davon, dass dort zwischen 1939 und 1945 Gefangene aus den Ländern gegen die das Hitlerreich in den Krieg gezogen war, eingesperrt, gequält und gefoltert wurden. Tausende von ihnen starben an Hunger und Krankheiten.
Gemeinsam mit sieben weiteren angehenden Bankkaufleuten des ersten Lehrjahres befasst sich Sören Kück im Rahmen einer „Werte-Woche“ mit den Schicksalen damaliger Häftlinge. Seit 2007 etabliert sich auf einem Teil des Geländes die Gedenkstätte. Über eine Ausstellung hinaus wird dort ein Archiv aufgebaut und eine regionale Forschung betrieben. „Es ist uns wichtig, dass unsere Auszubildenden auch lernen, über den Tellerrand hinaus zu sehen“, erklärt Volksbank-Vorstand Jan Mackenberg die besondere Lehrstunde. Zwei Tage haben die Azubis mit Mitarbeitern der Gedenkstätte theoretisch gearbeitet, ab morgen wird es praktisch, die jungen Leute werden rund um eines der Barackengebäude das Kiesbett erneuern. „Sie lernen dabei auch, welchen Wert Rechte und Menschenrechte fürs gesellschaftliche Miteinander haben“, so Mackenberg. Jugendlichen den Zugang zur Aufarbeitung des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte zu eröffnen, hält Mackenberg 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges für besonders bedeutend.
Schicksale von Häftlingen werden nachvollzogen
„Hier beschäftigen sich unsere Jugendlichen mit einer Thematik, die ihnen aus der Sicht als Banker zunächst völlig fremd erscheinen mögen“, unterstreicht Volksbank-Personalchef Marco Feindt. „So gilt es auch, Brücken zu schlagen, von diesem Projekt hinein in den Bank-alltag“, ergänzt Ausbildungsleiterin des Kreditinstituts, Kristin Meyer. Für den an der Gedenkstätte beschäftigten Friedenspädagogen Michael Freitag-Parey soll die Befassung mit der Geschichte Impulse auslösen.
Es gehe darum, dass das eigene Handeln hinterfragt wird. Die Verfolgung Andersdenkender dürfe nicht nur geschichtlich betrachtet werden, beim Blick ins Weltgeschehen passiere die Unterdrückung von Volksgruppen vor unseren Augen, Freitag-Parey nannte als Beispiel das Schicksal der Uiguren in China. Ihm gehe es darum, Menschen für die Befassung mit Geschichte zu sensibilisieren und für die Friedensarbeit zu gewinnen.
Der Auszubildende Pit-Alan Agyekum berichtete, er habe die Gedenkstätte Sandbostel bereits während seiner Schulzeit besucht. Mit dem mehrtägigen werte-Projekt gelinge es noch viel mehr, sich in die Geschichte hinenzuversetzen und die schockierenden Ereignisse zu verarbeiten. „Krass“ nennt Clemens Dauber die Berichte von Zeitzeugen, in die die angehenden Banker Einblicke erhielten. „Ganz anders, als aus Büchern erfahren wir etwas über die Zusammenhänge und lernen, dass so etwas nie wieder passieren darf“, sagt Sören Kück. „Unsere Arbeit, auch der praktische Teil, gibt uns viel mehr Einsichten, als ein bloßer Rundgang durch die Ausstellung“, sagt die Auszubildende Kendra Laschat.
Brücken in den Alltag in der Bank bauen
Seit sechs Jahren gehört die „Werte-Woche“ zum Bestandteil der Ausbildung bei der Volksbank Osterholz-Bremervörde. Es wird jeweils Einblick in die Arbeit einer Einrichtung mit sozialem, historisch-kulturellem oder ökologischem Charakter gegeben. „Die jungen Menschen sollen auch mithelfen und sich im alltäglichen Arbeitsablauf engagieren“, so Kristin Meyer. Ab heute wird in Sandbostel mit Schaufeln ein gewaltiger Kieshaufen bewegt, damit eine der stark sanierungsbedürftigen Ba-
racken eine Drainage erhält.