Weser Report: Herr Spahn, warum schafft es Deutschland im Vergleich der Impfquoten der europäischen Länder nur auf Platz 10?
Jens Spahn: Inzwischen haben sich in Deutschland mehr als drei von vier Erwachsenen für das Impfen entschieden. Das ist durchaus ein Erfolg. Aber das reicht noch nicht. Auffällig sind die Unterschiede in Deutschland. Wir sehen im Westen und im Nordwesten die Impfquoten, die wir brauchen, um insgesamt gut durch Herbst und Winter zu kommen. Die Frage, die mich beschäftigt, ist: Warum es vor allem im Osten und im Süden bislang nicht gelingt, die Quote weiter zu erhöhen. Bund und Länder starten morgen gemeinsam eine Impfaktionswoche. Dabei sollen vor allem niedrigschwellige Angebote besser sichtbar gemacht werden. Impfen war noch nie so einfach wie jetzt. Ohne Termin. Direkt vor Ort. Doch nur wenn die Menschen von Aktionen erfahren, können sie hingehen.
Trotzdem werden einige Impfzentren geschlossen.
Nicht alle. Die Impfzentren organisieren die Länder, viele bleiben offen. Die Zentren werden vom Bund mitfinanziert, auch über den 30. September hinaus. Aber der Fokus liegt nicht mehr auf den großen Impfzentren, sondern auf Impfanlaufstellen am Arbeitsplatz, auf dem Marktplatz, auf dem Sportplatz, auf dem Kirchplatz. Dort, wohin die Menschen ohnehin kommen. Es gibt mehr mobile Impfteams.
Welche Lehren ziehen Sie aus der Pandemie für das Gesundheitswesen?
Wir sind zu abhängig von China: zum Beispiel bei Medikamenten oder bei der Schutzausrüstung. Deshalb lautet die Konsequenz: Wir müssen wieder stärker in die Spitzenforschung gehen, in Bio- und Medizin-Cluster investieren. Wir waren einmal die Apotheke der Welt. Außerdem müssen wir mehr vorsorgen. Im Moment bauen wir eine nationale Reserve Gesundheitsschutz auf, um in Katastrophen und Pandemien schneller, besser und kostengünstiger agieren zu können.
Aktuell tobt ein Streit um 2-G und 3-G. Sollen nur Genesene und Geimpfte Veranstaltungen besuchen dürfen oder auch Getestete?
Wir sind in der vierten Corona-Welle und sehen, dass das Impfen einen entscheidenden Unterschied macht. Mehr als 90 Prozent der Covid 19-Patienten, die auf den Intensivstationen liegen, sind nicht geimpft. Ärzte und Pflegekräfte sind deshalb zunehmend frustriert, dass sie Patienten behandeln müssen, die sich eigentlich hätten schützen können. Ich halte die Hamburger Lösung für sinnvoll: 3-G grundsätzlich, aber private Veranstalter können auch 2-G zulassen. Wenn nur Geimpfte und Genesene eingelassen werden, kann man auch mehr Gäste empfangen.
Wie verändert die Pandemie den Wahlkampf?
Veranstaltungen finden immer noch unter besonderen Bedingungen statt, aber wir können uns wieder begegnen. Das tut gut. Und die Pandemie ist natürlich Wahlkampfthema. Das kann uns als Union helfen. Ich nehme den Eindruck von meinen Wahlkampfveranstaltungen mit, dass viele sehr wohl sehen, wie gut wir vergleichsweise durch diese Krise gekommen sind.
Wie kommt die CDU aus dem Umfragetief?
Es braucht die richtige Mischung: Attacke und inhaltliche Aufladung. Wir müssen die Unterschiede zu den anderen Parteien konsequent herausarbeiten. Wenn eine Mannschaft im Fußball mit fünf zu null Toren vorne liegt, bleibt sie defensiv. Gerät sie aber in Rückstand, muss sie in die Offensive gehen. Es macht einen Unterschied, ob Deutschland künftig links oder bürgerlich regiert wird.
Offenbar überwiegt das Interesse an solch einer bürgerlichen Regierung nicht.
Das glaube ich nicht. Mein Eindruck von den vielen Terminen im Land in den letzten Tagen ist: Mehr und mehr Wähler denken darüber nach, dass es einen gewaltigen Unterschied macht, ob sie von linken Besserwissern oder von einer bürgerlichen Regierung durch die zwanziger Jahre geführt werden. Wenn wir abseits von Überschriften in der Sache reden, dann können wir viele überzeugen. Man muss nur das Programm der Linken lesen, aber auch das der Grünen: höhere Steuern, mehr Staat, kein wirkliches Bekenntnis zur Bundeswehr. Dann ist klar, wo die Reise hingeht. Das wollen viele nicht.
Egal welche Partei nach der Wahl den Kanzler oder die Kanzlerin stellt, sie wird kaum mehr als 30 Prozent erhalten haben. Wie verändert das die Politik?
Für die Stabilität des Landes ist es wichtig, dass die Parteien wieder mehr Integrationskraft entwickeln. Das sehen wir bei unseren Nachbarn, den Niederlanden. Die Zahl der Parteien im Parlament steigt, die Möglichkeiten, eine Regierung zu bilden, sinken. Die CDU ist die einzige Volkspartei, die noch tief in Stadt und Land verankert ist. Die alle gesellschaftlichen Gruppen und den Ausgleich von Interessen im Blick hat. Damit ist es möglich, auch im 21. Jahrhundert eine starke Volkspartei zu bleiben.