„Grundeinkommen jetzt“, fordert der Hamburger Wirtschaftswissenschaftler Thomas Straubhaar. So heißt auch sein neues Buch, das bei NZZ Libro in Basel erschienen ist.Foto: pv „Grundeinkommen jetzt“, fordert der Hamburger Wirtschaftswissenschaftler Thomas Straubhaar. So heißt auch sein neues Buch, das bei NZZ Libro in Basel (Schweiz) erschienen ist. Foto: pv
Arbeitswelt

„Sozialbürokratie ausdünnen“

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Wirtschaftswissenschaftler Thomas Straubhaar will Krankenkassen und Rentenversicherung abschaffen.

Weser Report: Herr Straubhaar, Sie fordern ein bedingungsloses Grundeinkommen: 1.000 Euro monatlich für jeden Bundesbürger, vom Baby bis zum Greis. Bringt einer Familie – Vater, Mutter und zwei Kinder – insgesamt 4.000 Euro Monat für Monat. Warum sollen die Eltern dann noch arbeiten?

Thomas Straubhaar: Die Summe relativiert sich, wenn man sie damit vergleicht, was eine vierköpfige Familie heute an Sozialleistungen erhält. In meinem Modell ersetzt das Grundeinkommen alles, was bis dahin an Sozialleistungen fließt, zum Beispiel das Kindergeld, die Rente, das Kurzarbeitergeld, das Wohngeld. Das fiele alles weg. Gleichzeitig müssen alle fürs Alter jenseits des Grundeinkommens selber vorsorgen und für ihre Krankenversicherung bezahlen. Dann bleibt von der Grundsicherung nicht mehr als das Existenzminimum.

Die Krankenkassen wollen Sie abschaffen?

In meinem Modell müssen sich alle privat selbst versichern. Alle sind verpflichtet, einen Vertrag mit einer privaten Krankenversicherung zu schließen. Und jede Krankenversicherung muss alle nehmen, die sich für eine Grundversorgung absichern wollen. Alle müssen sich versichern und niemand darf ausgeschlossen werden.

Auch die Rentenversicherung wollen Sie schleifen?

Ja, die fällt weg. Das Grundeinkommen ersetzt die gesetzliche Rente. Es gibt allerdings eine Übergangsphase, in der alle bis dahin gemachten Zusagen des Staates vollständig gewahrt bleiben. Wer also zum Beispiel einen Anspruch auf 1.500 Euro erhalten hat, erhält auch 1.500 Euro – verzichtet dann aber auf das Grundeinkommen.

Krankenkassen, Rentenversicherung, Sozialämter, Jobcenter – sie alle fallen dann weg?

Ja. Deshalb haben viele Sozialdemokraten, Bürokraten und Steuerberater nicht so viel Freude an meinem Modell. Die Sozialbürokratie würde ausgedünnt und das Steuersystem so vereinfacht, dass auch Menschen ohne Studium durchblicken.

Was passiert mit den Menschen, die jetzt in diesen Behörden arbeiten?

Wir sprechen in Deutschland von einem Fachkräftemangel und sorgen uns, dass uns die Fachkräfte ausgehen. Hier bekämen wir ein Reservoir an Arbeitskräften, die umgeschult werden könnten.

Die Linke fordert ein Mindesteinkommen von 1.200 Euro monatlich.

Ob 1.000 oder 1.200 Euro, das muss politisch entschieden werden. Aber es gibt einen wichtigeren Unterschied: Die Linke fordert, dass das Mindesteinkommen zusätzlich zu den bisherigen Sozialleistungen gezahlt wird. Das ist des Guten zu viel.

Heute gibt der Staat rund 1.000 Milliarden Euro für Soziales aus. Für die gleiche Summe könnte er nach Ihrer Rechnung jedem Bundesbürger 1.000 Euro monatlich zahlen. So kommen Sie auf die 1.000 Euro. Trotzdem sagt der wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums, Ihr Modell sei nicht finanzierbar.

Es ist irritierend, ein derart falsches Urteil von meinen Kollegen lesen zu müssen. Ökonomisch ist die Aussage unsinnig. Wenn jeder Bürger 1.000 Euro bekommt und der Fiskus dafür 1.000 Milliarden Euro mehr aufwenden müsste, könnte er die Steuereinnahmen um 1.000 Milliarden Euro erhöhen und gleich wieder in Form von Grundeinkommen zurückgeben. Dadurch verändert sich die durchschnittliche Brutto-Steuerbelastung der Bürger um 0,0 Prozent. Deshalb ist jedes Grundeinkommen immer finanzierbar. Was sich jedoch verändert, ist die individuelle Steuerbelastung. Bei mir würden alle Einkommen, die zusätzlich zum Grundeinkommen erarbeitet werden, mit brutto 50 Prozent besteuert. Wer ein hohes Kapitaleinkommen hat, also die Kapitalisten, zahlen somit vergleichsweise mehr Steuern als heute, weil, heute werden sie mit einer pauschalen und konstanten Abgeltungssteuer von 25 Prozent privilegiert. Die Proletarier würden netto weniger Steuern zahlen. Viele Menschen zahlen heute schon 42 Prozent an Bruttoabgaben, wenn sie die Sozialversicherungsbeiträge mit einbeziehen.

Wie verändert Ihr Modell die Arbeitswelt?

Es kommt zu einer Lohnfindung, die der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts entspricht. Der Arbeitnehmer wird sich freier entfalten können. Die Beschäftigten haben dank des Grundeinkommens mehr Marktmacht. Sie können zu einem Jobangebot eher nein sagen. Meine Erwartung ist, dass vor allem haushaltsnahe Dienstleistungen wie Pflege und Kinderbetreuung aufgewertet werden und dass die Löhne dort steigen. Jobs wie das Kassieren an der Ladenkasse fallen weg, die Arbeit wird automatisiert, robotisiert. Wo das nicht möglich oder erwünscht ist, wird man mehr Geld in die Hand nehmen. Dann werden für einige Dinge die Preise steigen.

Vor der Corona-Pandemie, im Jahr 2019, veröffentlichten Sie ein Buch mit Titel: „Das Beste liegt noch vor uns“. Gilt das immer noch?

Absolut. Mehr denn je, vorausgesetzt, wir führen das Grundeinkommen ein – jetzt!

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