Weser Report: Herr Rosenthal, was sind Ihre wichtigsten Aufgaben, wenn Sie am 1. Juli Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer werden?
Peer Rosenthal: Es gibt drei inhaltliche Schwerpunkte: Der erste ist das Thema Ausbildung, weil in Bremen zu viele junge Menschen ohne Ausbildung in den Arbeitsmarkt eintreten. Das hat negative Folgen für ihr weiteres Erwerbsleben. Wir können uns das aber auch wegen des demografischen Wandels nicht mehr leisten. In zehn Jahren gehen im Land Bremen rund 50.000 qualifizierte Beschäftigte in den Ruhestand. Die müssen ersetzt werden.
Und die beiden anderen Schwerpunkte?
Das zweite große Thema ist die Qualifizierung und Weiterbildung im Zuge der ökologischen Transformation, also des Wandels der Produktionsweise, zum Beispiel der Wechsel vom Auto mit Verbrennungsmotor zum Elektro-Auto. Drittes Thema sind die Arbeitsbedingungen, etwa die Erhöhung der Tarifbindung. Aktuell sind nur noch 20 Prozent der bremischen Betriebe an einen Tarifvertrag gebunden. Und es geht um Mindestlöhne.
Tarifpolitik ist doch Sache der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Und je attraktiver eine Gewerkschaft ist, je mehr Mitglieder sie gewinnen kann, desto eher kann sie auch Tarifverträge durchsetzen.
Eine hohe Tarifbindung hängt von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ab. Und die Politik hat die Aufgabe, die Rahmenbedingungen zu setzen. Zu diesen Rahmenbedingungen äußern wir uns.
Wie bereitet sich die Arbeitnehmerkammer auf eine mögliche Ausweitung von Corona im Herbst vor?
Der größere Stabilisator in der Pandemie war die Kurzarbeit. Sie hat den Betrieben geholfen, Beschäftigte zu halten und bei der Erholung der Konjunktur sofort durchstarten zu können, Und die Beschäftigten waren durch die Kurzarbeit sozial abgesichert. Wir nehmen jetzt auch wahr, dass sich immer mehr Betriebsräte zu Regeln fürs Homeoffice beraten lassen. Künftig werden voraussichtlich mehr Menschen im Homeoffice arbeiten als vor der Pandemie, allerdings nicht so viele wie während der Pandemie.
Die Arbeitnehmerkammer hat sich räumlich vergrößert. Wie weit sind die Arbeiten?
Der letzte Bauabschnitt ist jetzt abgeschlossen bis auf einige Feinarbeiten. Die räumliche Vergrößerung ermöglicht es uns auch, unsere Beratung auszubauen. Erst unlängst haben wir zwei Steuerberaterinnen eingestellt. Auch die Weiterbildungsberatung wird in Zukunft noch wichtiger, auch dafür nutzen wir die zusätzlichen Kapazitäten. Sanierung und Erweiterungsbau kosten knapp sechs Millionen Euro. Ob wir mehr Beschäftigte einstellen, darüber entscheiden unsere Gremien. Aktuell haben wir 141
Der frühere Bürgermeister Carsten Sieling arbeitet wieder für die Arbeitnehmerkammer und soll für sie in Berlin werben. Mit welchem Erfolg?
Uns ist es zweimal gelungen, als sachverständige Institution in den Arbeits- und Sozialausschuss des Bundestages eingeladen zu werden, einmal zum Thema Mindestlohn und Minijob und nächste Woche zu einer Rentenanhörung. Es ist uns auch gelungen, gemeinsam mit der Arbeitskammer des Saarlandes, der Hans-Böckler-Stiftung und dem Institut Arbeit und Technik eine Studie zur Situation der Pflegebeschäftigten durchzuführen und in Berlin zu präsentieren. Viele Regeln zu den Arbeitsbedingungen werden durch Bundesgesetze bestimmt. Deshalb wollen wir stärker in Berlin auftreten.
Gemeinsam mit der Handelskammer und der Handwerkskammer will die Arbeitnehmerkammer in die Landesverfassung aufgenommen werden. Wie ist der Stand?
Da haben wir keinen neuen Diskussionsstand.
Auch die Politikberatung sieht die Arbeitnehmerkammer als ihre Aufgabe an. Woher wissen Sie, was die Arbeitnehmer denken, die in Bremen 0,15 Prozent ihres Gehalts an die Kammer abführen müssen?
Die Bremer Beschäftigtenstruktur wird durch die Vollversammlung abgebildet, die die Grundsätze beschließt. Und alle zwei Jahre führen wir eine repräsentative Umfrage durch. Daraus leiten wir unsere Positionierung ab.
In Bremen ist die Arbeitslosenrate fast doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Was können Sie tun?
Auch in Bremen hat sich der Arbeitsmarkt gut entwickelt, aber nicht so dynamisch wie in anderen Regionen. Hier arbeiten viele, die keinen Berufsabschluss haben. Wir haben der Landesregierung jetzt Vorschläge gemacht für diese Gruppe. Zum Beispiel könnten wir hier mehr Dynamik entfalten, wenn wir diesen Beschäftigten einen monatlichen Qualifizierungsbonus zahlen, wenn sie einen Abschluss machen.