Weser Report: Glückwunsch zum 160. Gründungstag der Bremer SPD. Der Tischler Gustav Deckwitz hat sie am 6. April 1864 ins Leben gerufen. Wie würden Sie ihm die Lage seiner SPD in drei Sätzen beschreiben?
WETJEN: Gustav, die Generationen nach dir haben viel geschafft und vieles an Bremen würdest du nicht wiedererkennen. Das allgemeine Wahlrecht ist längst eingeführt, Arbeiterkinder können an die Universität gehen, die wir gegründet haben, und inzwischen lässt das Bürgertum sogar Frauen zum Schaffermahl zu, jedenfalls einzelne.
WAGNER: Wir haben aber auch noch viel zu tun: etwa alte Arbeiterstadtteile zu neuem Glanz bringen, Arbeitsplätze durch den Wandel bringen und Geschlechtergerechtigkeit herstellen.
In Bremen waren die Sozialdemokraten gefühlt schon immer an der Macht. Wie beugen Sie Verschleißerscheinungen vor?
WAGNER: Wir sind stolz auf unsere Historie, auf Wilhelm Kaisen oder Hans Koschnick, aber wir achten auf auch gezielt auf Erneuerung. Die Bremer SPD hat es über die Jahrzehnte stets verstanden, die nächste Generation an Bremerinnen und Bremern zu erreichen. Denken sie nur an die Mozarttrasse, die seinerzeit von der alten Garde der SPD befürwortet und letztlich von den jungen Rebellen in der Bremer SPD verhindert wurde. Auch heute fördern wir junge Talente etwa mit aussichtsreichen Listenplätzen für die Bürgerschaft, damit die SPD stets auf der Höhe der Zeit bleibt.
WETJEN: Auch in schwierigen Zeit – wo alles nach Harmonie strebt – müssen wir mutig bleiben, Streitpunkte ausdiskutieren und gerade die Ideen der jüngeren Menschen sehr ernst nehmen. Die jüngeren Parteimitglieder darin bestärken, Verantwortung zu übernehmen und sie dabei unterstützen.
Soziale Sicherheit
Was ist ihr wichtigstes Thema, das Sie für Bremen anpacken?
WETJEN: Oberste Priorität hat der soziale Zusammenhalt. Gerade in Zeiten der Krisen und des Wandels müssen wir allen Menschen soziale Sicherheit geben. Das gilt für bezahlbares Wohnen im Quartier, für gute Arbeit, eine starke Wirtschaft und auch für Gesundheitsversorgung oder Pflege im Alter. Einfach dafür sorgen, dass Bremen und Bremerhaven lebenswert bleiben.
WAGNER: In Zeiten des Wandels Arbeitsplätze sichern, neue zu schaffen und Menschen dabei zu unterstützen, sich zu qualifizieren, egal wie alt sie sind. Hier tut die Politik in Bremen bereits viel und gleichzeitig müssen wir noch mehr tun. Das ist nicht nur wichtig für den Wohlstand in Bremen, sondern auch für die soziale Sicherheit der Menschen, ein tragender Balken unserer Demokratie.
Junge begeistern
Wie wollen Sie jüngere Wähler begeistern, ohne die älteren Generationen zu verprellen?
WAGNER: Wir stehen für ein Miteinander der Generationen und dagegen, sie gegeneinander auszuspielen. Großeltern wünschen sich gut ausgestattete Kitas und Schulen für ihre Enkel, erwachsene Kinder für ihre Eltern eine gute Pflege. Wichtig ist, dass wir für sie alle einen starken, handlungsfähigen Sozialstaat haben, der gute Bildung und gute Pflege allen zugutekommen lässt und nicht von einem dicken Portemonnaie abhängig macht.
WETJEN: Bei uns Sozis ist klar Jung und Alt denken an die ganze Bevölkerung, allerdings haben sie unterschiedliche Schwerpunkte. Wenn andere Parteien keine Kredite für Klimainvestitionen aufnehmen wollen, ist das kein generationenübergreifender Ansatz und damit kein Schutz für unsere Kinder und Enkel. Die müssen das dann ausbaden, was wir versäumt haben. Zeit spielt beim Klimaschutz die entscheidende Rolle. Und wenn wir die Infrastruktur nicht auf modernem Niveau halten, haben nachfolgende Generationen ein Problem. Das dürfen wir nicht zulassen.
Haben Sie ein Rezept gegen das Schrumpfen Ihrer Wählerzahlen?
WAGNER: Alle Parteien müssen sich damit abfinden, dass traditionelle Bindungen an Parteien abnehmen und vor allem jüngere Wählerinnen und Wähler bei jeder Wahl ganz neu überzeugt werden wollen. Das macht Wahlkämpfe nicht leichter, aber Politik auch spannender. Der Herausforderung stellen wir uns gerne.
WETJEN: Bei der Flut von Informationen vor allem in den sozialen Medien sind wir alle häufig überfordert oder setzen nur noch auf wenige Quellen. Wir setzen daher auf das direkte Gespräch mit den Menschen in Bremen und Bremerhaven. In Gruppengesprächen, auf Veranstaltungen oder auch vor der Haustür. Wir bemühen uns gerade auch dahin zu gehen, wo das Vertrauen in „die da oben“ schmilzt.
Gefahren durch Rechtsextreme erkennen
Und wie stemmen Sie sich – mit anderen Demokratinnen und Demokraten – gegen Feinde der Verfassung?
WETJEN: Ich habe tatsächlich großes Vertrauen in die Bevölkerung, die in ihrer großen Mehrheit klug ist, die Gefahren durch Rechtsextreme erkennt und entsprechend handeln wird. Aber die demokratischen Parteien müssen lernen zu liefern, gemeinsam. Denn „Blockade-Politik“ kommt nirgends gut an. Die Menschen honorieren Zusammenarbeit und Entschlusskraft und wünschen sich zur Bewältigung der wirklich großen Herausforderungen – Bildung, Qualifizierung, Klima, Infrastruktur, Gute Arbeit und Starke Wirtschaft trotz Wandel – auch eine konstruktive Opposition.
WAGNER: Drei Dinge. Erstens: Gesicht zeigen für die Demokratie, so wie auf der herausragenden Demonstration „Laut gegen rechts“, aber auch im Alltag, im Freundeskreis, in der Familie, auf der Arbeit. Zweitens: Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der Demokratie schaffen. Auch in Zeiten der Krise und des Wandels muss die Demokratie ihr soziales Versprechen einlösen, gerechte Aufstiegschancen und soziale Sicherheit zu bieten, für jede Generation neu. Drittens: Verfassungsfeinde beim Namen nennen und auch mit den Mitteln des Rechtsstaats bekämpfen. Dazu muss auch die Prüfung eines Parteienverbots gehören, wie es das Grundgesetz vorsieht. Wir möchten nachfolgenden Generationen nicht sagen müssen: wir haben zu lange gezögert, als wir noch hätten handeln können.
Ganz kurz: von Armut bis Bauplanung
Bitte ordnen Sie diese Stichwörter mit je einem Satz ein:
Armut:
WAGNER: darf in einer Demokratie nicht geduldet werden.
WETJEN: …und spaltet die Gesellschaft – wir stehen für einen starken Sozialstaat. Mindestlohn, Kindergrundsicherung und Bürgergeld sind Sozi-Projekte und helfen Armut zu bekämpfen.
Klimawandel:
WAGNER: gefährdet unsere natürlichen Lebensgrundlagen und unseren Wohlstand, wenn wir die erneuerbaren Energien nicht weiter so entschlossen ausbauen, wie es derzeit in Deutschland geschieht.
WETJEN: Richtig, aber auch Umbau der Wirtschaft, u.a. Stahl, Chemie, der Ausbau gesamten Verkehrsinfrastruktur und der Wärmeerzeugung stellen große Herausforderungen da.
Fachkräfte und Weiterqualifizierung
Einwanderung:
WAGNER: …ist notwendig, um dem Fachkräftemangel zu begegnen und muss ein immer selbstverständlicherer Teil unserer Arbeitskultur werden.
WETJEN: Auch im Land Bremen haben wir in den letzten 10 Jahren die Anzahl der Facharbeiter und Facharbeiterinnen deutlich erhöht. Und trotzdem brauchen wir noch deutlich mehr Fachkräfte um den schon heute starken Fachkräftemangel beheben zu können.
Arbeitsmarkt:
WAGNER: Lebenslanges Weiterqualifizieren wird der Schlüssel zu einem wirtschaftlich erfolgreichen und sozial gerechten Arbeitsmarkt in den 2020er- und 2030er-Jahren.
WETJEN: Deshalb brauchen wir u. a. den geplanten „Klimacampus“. Hier werden Menschen weiterqualifiziert und auf die Aufgaben der Zukunft vorbereitet.
Hauptbahnhof und Einkaufsstraßen
Hauptbahnhof:
WAGNER: Eine Visitenkarte unserer Stadt, weswegen wir viele Anstrengungen auf ihn konzentrieren, inzwischen mit sichtbaren Erfolgen auch im Vergleich mit anderen Großstädten. Die Herausforderungen bleiben aber groß.
Wetjen: Vor allem bleibt es eine Daueraufgabe sich den Veränderungen, wie z. B. neue noch gefährlichere Drogen und damit noch mehr Leid zu stellen und Anpassungen vorzunehmen.
Einkaufsstraßen:
WAGNER: Müssen im 21. Jahrhundert Teil einer breiteren Angebotspalette sein, um zu bestehen.
WETJEN: …und werden daher Erlebnisstraßen, in denen auch eingekauft werden kann.
Zukunft und Bremen passen zusammen
Luft- und Raumfahrt:
WETJEN: Luft- und Raumfahrt sind ein wichtiger Bestandteil unserer „Industrie“ Sie haben einen hohen Forschungsanteil, der zu unserer Wissenschafts- und Forschungslandschaft passt
WAGNER: Zukunft und Bremen passen zusammen, wo lässt sich das besser sehen als hier?
Bauplanungen wie Domshof, Alte Sparkasse oder Brücken:
WAGNER: So wichtig wie es ist, über Geschmack auch mal zu streiten, so wichtig muss es uns allen sein, dass es am Ende in Bremen vorangeht.
WETJEN: Stimmt. Aber einfach mal machen ist nicht einfach.
Frage wie in einem Vorstellungsgespräch: Wo sehen Sie die SPD Bremen in fünf Jahren?
WETJEN: Weiterhin mittendrin in der Gesellschaft, deutlich weiblicher und noch ein wenig jünger. Hoffentlich streitbar und über 80 Jahre im Rathaus.
WAGNER: An drei Orten: Auf der Straße, im Gespräch mit den Bremerinnen und Bremern, bei den Mitgliedern im Ringen um den richtigen Weg für eine sozial gerechte Zukunft. Und, völlig richtig, im Rathaus.