Helge Cassens (40) ist Sprecher der Polizeiinspektion Verden/Osterholz. Mit dem Weser Report sprach er über die Gefahren durch Handys und Smartphones im Straßenverkehr – nicht nur beim Sprechen, auch beim Tippen.
Weser Report: Was macht Smartphones und Handys im Straßenverkehr Ihrer Meinung nach gefährlich?
Cassens: Die Nutzung von Smartphones steigert die Ablenkung um ein Vielfaches. Das Telefonieren lenkt den Nutzer während der Bedienung des Mobiltelefons physisch und psychisch ab. Psychisch abgelenkt und damit erheblich in der Reaktionsfähigkeit beeinträchtigt ist der Nutzer auch während eines Telefongespräches. Die Augen sind hier jedoch weitestgehend noch auf den Straßenverkehr gerichtet.
Bei Bedienung des Smartphones, um Nachrichten zu versenden und zu lesen, steigert die Wahrscheinlichkeit eines Verkehrsunfalls einer amerikanischen Studie zufolge um das 164- fache und ist mit einem Promillewert von 1,1 zu vergleichen.
In diesem Fall sind nicht einmal mehr die Augen auf die Fahrbahn gerichtet, sodass hier schlicht und ergreifend keine bewusste Beteiligung am Straßenverkehr vorliegt und eine Reaktion auf Gefahren nicht nur verzögert ist, sondern vollständig ausbleibt, da die Gefahren gar nicht mehr wahrgenommen werden. Wer auf der Autobahn 130 km/h fährt und fünf Sekunden lang auf das Handy schaut, legt in dieser Zeit 180 Meter zurück
Auf dem Fahrrad und beim Autofahren sind Handys verboten. Fänden Sie ein Verbot für Fußgänger auf Straßenkreuzungen oder in besonderen Situationen zielführend?
Ungerne äußere ich mich über die vorhandene oder auch nicht vorhandene Gesetzgebung. Fußgängerunfälle, die durch die Nutzung von Mobiltelefonen verursacht wurden, sind hier im Übrigen auch nicht bekannt.
Erachten Sie höhere Strafen für telefonierende Autofahrer, wie in einigen Nachbarländern, für sinnvoll?
Wie erwähnt äußere ich mich nicht über die vorhandene oder auch nicht vorhandene Gesetzgebung. Aus der Erfahrung heraus wissen wir allerdings, dass der verkehrserzieherische Effekt bei den meisten Verkehrsteilnehmern besonders dann groß ist, wenn Verstöße in Form von Bußgeldern geahndet werden und nicht nur mündlich verwarnt wird. Über die Höhe der Bußgelder kann man sich sicherlich streiten.
Eine Studie der Technischen Universität Braunschweig ergab, dass von 12.000 beobachteten Autofahrern 4,5 Prozent mit dem Handy hantierten. Überraschen Sie diese Zahlen?
Zur konkreten Stichprobe möchte ich mich nicht äußern. Allgemein nehmen wir natürlich auch deutlich wahr, dass sehr viele Fahrzeugführer ein Mobiltelefon am Steuer nutzen. Das stellen wir insbesondere dann fest, wenn wir mit zivilen Streifenwagen unterwegs sind und durch die Verkehrsteilnehmer nicht erkannt werden können. Nehmen die Beamtinnen und Beamten des Einsatz- und Streifendienstes derartige Verstöße wahr, ahnden sie sie auch konsequent.
Die drei tödlichen Unfälle im Landkreis im vergangenen Jahr waren „Baumunfälle“ ohne erkennbare Ursache. Halten Sie die Nutzung von Smartphones für eine wahrscheinliche Ursache?
Über die Ursache tödlicher Unfälle lässt sich häufig nur spekulieren. Selbst wenn wir nach Verkehrsunfällen noch mit den Unfallbeteiligten sprechen können, erhalten wir von ihnen nie die Antwort, dass sie durch die Nutzung eines Handys abgelenkt waren und es deshalb zum Unfall kam.
Tatsächlich ist es allerdings so, dass insbesondere auch junge Autofahrer aus „unerklärlichen Gründen“ auf ein vorausfahrendes Auto oder einen Lkw auffahren oder von der Fahrbahn abkommen. Unachtsamkeit kann aber immer auch andere Gründe haben wie die Bedienung des Radios, das schreiende Kind auf der Rückbank oder das Blättern in Unterlagen.
Vermuten Sie eine hohe „Dunkelziffer“ bei der Handynutzung durch Autofahrer?
Natürlich wissen wir, dass wir nur eine geringe Anzahl von Fahrzeugführern tatsächlich entdecken, die während der Fahrt ein Handy bedienen. Angesichts der Verwendung von zivilen Streifenwagen sollte aber jeder wissen, dass er jederzeit von der Polizei ertappt werden kann. Und wenn das passiert, gibt es auch „keine Gnade“, ein Bußgeld in Höhe von 60 Euro zuzüglich Gebühren und Punkten in Flensburg sind dann obligatorisch.
Werden Smartphones/Handys nach Unfällen durch Techniker überprüft? Lässt sich aus den Geräten auslesen, wann sie wofür benutzt wurden?
Es werden stets hohe Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit gestellt. Die Einsichtnahme in das Mobiltelefon und, damit die Erhebung der Telekommunikationsdaten, ist an gewisse Voraussetzungen geknüpft: Es muss eine Straftat einer erheblichen Bedeutung vorliegen, im Zuge dessen das Handy als Beweismittel auf richterliche Anordnung beschlagnahmt werden könnte und die Verbindungsdaten ausgelesen werden dürften. Eine Straftat von erheblicher Bedeutung ist lediglich bei schweren Verkehrsunfällen mit schwerverletzten oder getöteten Verkehrsunfallopfern anzunehmen. Lediglich in diesen Fällen können beweisverwertbare Ermittlungen am Mobiltelefon geführt werden.
Wurde das nach den tödlichen Unfällen im Landkreis gemacht?
Nein. Da gab es keinen Verdacht, dass Handys eine Rolle gespielt haben.
Wie kann ein Autofahrer sein Smartphone als Navi verwenden, ohne sich strafbar zu machen?
Laut Straßenverkehrsordnung dürfen Fahrzeugführer kein Mobiltelefon oder Smartphone nutzen, wenn sie dafür das Gerät aufnehmen oder halten müssen. Dies gilt auch dann, wenn das Gerät als Navigationshilfe oder zur Internetrecherche verwendet wird. Nur wenn das Gerät mit einer Halterung befestigt ist, darf es als Navigationsgerät genutzt werden. Aber Vorsicht: Die Bedienung lenkt auch in diesen Fällen vom Straßenverkehr ab, was die Unfallgefahr erhöht.
Wie kann die Handynutzung von Autofahrern überhaupt kontrolliert werden?
Nehmen die Beamtinnen und Beamten des Einsatz- und Streifendienstes derartige Verstöße im Rahmen des täglichen Dienstes wahr, ahnden sie sie auch konsequent. Es werden auch spezielle Sonderkontrollen durchgeführt, bei denen die Handynutzung im Straßenverkehr, wie auch Verstöße gegen die Gurtanlegepflicht und die Sicherung von Kindern in Fahrzeugen, entsprechend geahndet werden.
Gibt es zu diesem Thema spezielle Präventions- oder Sensibilisierungsmaßnahmen der Polizeiinspektion?
Verkehrssicherheitsberaterin Anika Wrede kümmert sich um die Thematik. Zu ihren Aufgaben gehört es unter anderem, Vorträge in Schulen zu halten und Fahranfänger – Schüler ab der 10. Klasse – auf die Gefahren im Straßenverkehr aufmerksam zu machen.
Auch im Rahmen des „Fahrschulprojektes“ der Polizeiinspektion Verden/Osterholz, bei dem ein Polizeibeamter in Fahrschulen von Erlebnissen berichtet und auf regionale Gefahrenstellen aufmerksam macht, wird der Bereich „Handynutzung im Straßenverkehr“ regelmäßig thematisiert.
Zum Thema „Ablenkung“ hat die Autobahnpolizei Langwedel speziell für Lkw-Fahrer einen Flyer konzipiert. Er soll die Fahrer sensibilisieren, sich auf ihren Job am Steuer zu konzentrieren, um die Unfallgefahr zu reduzieren.