Der Platz, den man auf dem Weg ins Kattenturmer Zentrum überqueren muss, ist wenig ansehnlich. Foto: Niemann Der Platz, den man auf dem Weg ins Kattenturmer Zentrum überqueren muss, ist wenig ansehnlich. Foto: Niemann
Stadtteilspaziergang

Kattenturm: Schlechter Ruf, gute Begegnungen

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Kaum ein Bremer Ortsteil ist mit mehr Vorurteilen behaftet als Kattenturm. Dichte Besiedlung, niedriges Einkommen und angeblich hohe Kriminalität. Ein Shopping-Paradies sieht anders aus. Ein Besuch vor Ort überrascht.

Die Straßenbahn der Linie 4 spült an diesem Mittag im Zehn-Minuten-Takt Menschen in Kattenturms Zentrum. Über mangelnde Belebung kann sich das Quartier schon einmal nicht beschweren. Die wenigsten sind allerdings Besucher. Wer in Kattenturm-Mitte aussteigt, lebt meistens auch dort.

In der Kneipe „Zum Arster Feld“, auf die man fast automatisch zuläuft, ist schon etwas los. Die Wände sind in Orange und Grün gestrichen, schließlich huldigt man dem SV Werder. Das Mobiliar hat die besten Zeiten zwar hinter sich, aber trotzdem sitzen sich vier Männer neben dem Tresen gegenüber und auch die beiden Spielautomaten werden gefüttert.

Menschen aus vielen Nationen leben zusammen

„Was man über Kattenturm wissen muss?“, fragt Robert. In einem Jahr, das habe er in der Zeitung gelesen, seien mal Kinder aus 101 Nationen gleichzeitig in den Kindergarten gegangen. Robert lebt seit 1975 im Ortsteil – die Zahl der Nachbarn mit Migrationshintergrund habe seitdem massiv zugenommen.

Ein Problem ist das in seinen Augen aber nicht. „Das verträgt sich eigentlich ganz gut, weil es keine Mehrheiten gibt“, sagt Robert. Und auch der 19-Jährige Lukas, der neben ihm sitzt, bestätigt: „Ich habe hier noch nie eine schlimme Schlägerei erlebt.“ – „Wie soll das auch gehen“, wirft Robert ein. „Man begegnet sich ja jeden Tag neu.“

Internationale Waren im Asia-Shop

Renate Mehrbach und ihr Mann kaufen regelmäßig in Kattenturm ein. Foto: Niemann

Renate Mehrbach und ihr Mann kaufen regelmäßig in Kattenturm ein. Foto: Niemann

Das „Arster Feld“ öffnet morgens um 10 und schließt freitags und samstags nicht vor dem nächsten Morgen. Die meisten, die kommen, sind Stammgäste und Männer. „Hier erlebt man immer was“, sagt der junge Mann hinterm Tresen und nimmt prompt ein Telefon eines Gasts an, der auf das Gespräch keine Lust hast.

Die Einkaufssituation habe sich schlecht entwickelt, haben die Männer in der Kneipe gesagt. Vorbei an Dönerladen und türkischer Bäckerei, finden Kattenturmer einen kleinen Asia-Shop. Bis unter die Decke stapeln sich Reis, Linsen und Soßen, aber auch Haarfärbemittel.

Deutsche kaufen gern scharfe Soßen

Die Kunden stammten aus allen möglichen Ländern, sagt Verkäufer Jeyuthas Nagarasa. „Die Deutschen kaufen besonders gern scharfe Soßen“, erzählt er. Renate Mehrbach ist mit ihrem Mann extra aus Habenhausen zum Einkaufen gekommen. „Die Auswahl ist optimal. Vieles bekommt man in deutschen Märkten ja nicht, wenn man gern international kocht“, sagt sie.

Einen vergleichbaren Laden in der Innenstadt meidet sie aus praktischen Gründen: Die Parksituation sei schwierig. Deshalb kommt sie lieber nach Kattenturm.

Kommunikation mit Händen und Füßen

In der Filiale einer in Bremen häufig vertretenen Bäckerei hat heute Gertrud Menke Dienst. „Ein Rosinen, wie immer?“, begrüßt sie einen älteren Herrn, der aber heute ausnahmsweise doch ein Graubrot möchte. „Heute morgen war hier drinnen und draußen alles besetzt. Das ist ein Treffpunkt“, erklärt sie und zeigt auf Tische und Stühle.

Die Einkaufspassage wird von Schnäppchengeschäften und Lehrständen dominiert. Foto: Niemann

Die Einkaufspassage wird von Schnäppchengeschäften und Leerständen dominiert. Foto: Niemann

Auch in der Mittagszeit hat sie kaum Zeit für einen Plausch. Ja, auch in der Bäckerei sei das Publikum bunt gemischt. Deutsche Backwaren hätten durchaus ihre Abnehmer bei Menschen aus anderen Kulturen. Schon kommt eine junge Frau mit Kopftuch hinein, die kaum Deutsch spricht. Gertrud Menke versteht sie trotzdem und holt den bestellten Kuchen aus dem Lager. „Mit Händen und Füßen kommunizieren, auch das lernt man hier“, sagt die Bäckereiverkäuferin.

Passage hat mit Leerständen zu kämpfen

Aber es ist nicht alles rosig in Kattenturms Zentrum. Die kleine Passage an der Gorsemannstraße hat mit einigen Leerständen zu kämpfen. Im zur Alfred-Faust-Straße gelegenen Sonnenstudio ist schon 2014 die Höhensonne untergegangen und auch Geschäfte mit Namen wie „Mell’y Collection“ haben aufgegeben.

Neu eröffnet hat hingegen der Burgerladen von Anke Sharma und ihrem Mann. „Der Standort hat uns interessiert, weil es hier noch keinen Burgerladen gab“, erklärt sie. Mit dem ersten Monat ist sie zufrieden. „Und wenn die Schule wieder anfängt, geht es erst richtig los.“

Geschäfte im Niedrigpreis-Segment

In ihrem kleinen Imbiss sitzt gerade Süleyman Erdem. Seit 15 Jahren lebt er im Stadtteil – meistens ohne Arbeit. „Ich halte es nie aus“, sagt er schulterzuckend. Die freie Zeit nutzt er zum Beispiel, um sich Gedanken darüber zu machen, was in Kattenturm fehlt: Kino, Disco, ein Brunnen – und am allermeisten öffentliches W-LAN.

In der kleinen Einkaufspassage haben sich zumeist Geschäfte niedergelassen, die sich durch besonders günstige Preise auszeichnen. Unschlagbar günstig ist dabei die Möbelhalle, die von der Gröperlinger Recycling Initiative betrieben wird. „Bekleidung läuft am besten“, verrät die Verkäuferin. Und: „Es kommen auch Kunden mit größerem Portmonee.“

Nach dem kleinen Bummel durch Kattenturms Zentrum bleibt die überraschende Erkenntnis: Kaum irgendwo kommt man so schnell ins Gespräch mit Menschen. Und auch wenn die Sortimente mit wenigen Ausnahmen eher der Nahversorgung der Menschen vor Ort dienen, ist ein Besuch von außerhalb trotzdem spannend. Weil dort fast jeder eine Geschichte zu erzählen hat.

 

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