von Kathrin Harm, Andreas Sieler und Laura Bohlmann-Drammeh
Wer auf Autobahn, Landstraße oder in der Stadt in stockenden Verkehr gerät, muss eine Rettungsgasse bilden. So schreibt es die Straßenverkehrsordnung vor. Doch die Realität sieht häufig anders aus.
Nach Angaben der Polizeiinspektion Verden/Osterholz ereigneten sich am Wochenende alleine auf den Autobahnen A1 und der A 27 insgesamt 27 Unfälle mit fünf Verletzten. In den Rückstaus müssen die Rettungsfahrzeuge und Lkw der Feuerwehr durchpassen. Bei den Einsätzen am Wochenende zeigten sich jedoch viele Probleme für die Feuerwehr auf.
Ohne Rettungsgasse gehen „wertvolle Sekunden verloren“
„Schon auf der Anfahrt war erneut die Rettungsgasse auf der Autobahn schlecht gebildet und teilweise chaotisch zugestellt“, heißt es in einer Mitteilung der Einsatzkräfte. „Wenn da einer quersteht, gehen uns wertvolle Sekunden und Minuten verloren“, sagt Christof Dathe, Sprecher der Kreisfeuerwehr Verden. Warum häufig keine vernünftigen Gassen gebildet werden, kann sich Dathe nicht erklären.
Helge Cassens, Sprecher der Polizeidirektion Verden/Osterholz, empfiehlt Autofahrern, eine Rettungsgasse nicht erst bei Stillstand zu bilden, „sondern wenn man noch Spielraum hat, auch wenn noch nicht klar ist warum es überhaupt Stau gibt“. Wer innerorts Blaulicht hinter sich sieht, soll „an der nächsten geeigneten Stelle rechts ranfahren“, so Cassens. Auch in einem roten Ampelbereich solle man notfalls vorsichtig rechts ranlenken.
Gasse rechts von äußerst linkem Fahrstreifen bilden
Seit Dezember gibt es zur Rettungsgasse auch einen neuen Paragrafen in der Straßenverkehrsordnung. Auf Straßen mit mindestens zwei Fahrstreifen in eine Richtung gilt es, bei Schrittgeschwindigkeit oder Stillstand „für die Durchfahrt von Polizei- und Hilfsfahrzeugen zwischen dem äußerst linken und dem unmittelbar rechts daneben liegenden Fahrstreifen für eine Richtung eine freie Gasse zu bilden“, heißt es dort.
Wer sich nicht daran hält, dem drohen 20 Euro Strafe. „Das ist keine wirkliche Androhung“, so Cassens. „Aber es gibt ja auch keinen Grund, keine Rettungsgasse zu bilden“.
Gaffer – „Das ist Voyeurismus pur“
Ein weiteres Problem sind aus Sicht der Rettungskräfte neugierige Gaffer: „Das ist Voyeurismus pur“, klagt Dathe. Er hat schon selbst beobachtet, wie Autofahrer auf der Überholspur der Gegenfahrbahn langsamer werden und ihre Handys zücken, um Fotos zu machen. Auch am Wochenende bemerkten die Feuerwehrleute zahlreiche vergleichbare Fälle, in denen manch einer damit den nachfolgenden Verkehr gefährdete. „Das hat sich leider eingebürgert“, so Dathe.
Bürger im Straßenverkehr zunehmend hilflos
Auch die Bremer Feuerwehr berichtet, dass nicht immer Rettungsgassen gebildet würden. „Die Leute wissen oft nicht, was sie tun müssen, wenn von hinten ein Fahrzeug mit Martinshorn kommt“, sagt Sprecher Andreas Desczka.
Er erklärt, dass Autos auf der linken Fahrspur möglichst weit nach links und auf der rechten Fahrspur möglichst weit nach rechts ausweichen sollten. Die Standstreifen sollte nach Möglichkeit frei bleiben. „Mein Eindruck ist, dass viele Bürger zugleich hilfloser und egoistischer im Straßenverkehr werden. Ich habe schon beobachtet, dass einzelne sich selbst im Notfall noch vordrängeln“, so Desczka.
Feuerwehr glaubt, es brauche mehr Aufklärung
„Wenn wir nicht durchkommen, ist die schlimmste Konsequenz, dass Menschen sterben“, so Desczka. Die Feuerwehr habe zum Teil An- und Abfahrtszeiten von zehn bis 15 Minuten. „Uns bleiben 30 Minuten für die Rettung, wenn wir jemanden aus einem Wrack schneiden müssen, ist das nicht viel Zeit“, so der Feuerwehrmann.
Er glaubt, es brauche eine vernünftige Aufklärung der Autofahrer, wie sie sich in Stau- und Notsituationen zu verhalten haben. Grundsätzlich gilt: Wer ein Martinshorn hört, sollte Ruhe bewahren und zur Seite fahren. Auch das Filmen von Unfallsituationen ist übrigens verboten.