Delme Report: Spätestens Ende des Jahres gehen Sie in den Ruhestand. Wie geht es danach weiter?
Johann Böhmann: In den kommenden drei bis fünf Jahren will ich mich bei den begonnenen Projekten voll der Forschung widmen, aber auch falls nötig Angebote wie zum Beispiel die Diabetesambulanz in Delmenhorst fortführen. Seit fast zwei Jahrzehnten engagiert sich mein Delmenhorster Institut für Gesundheitsförderung (DiG) auf dem Gebiet der Vorbeugung von Diabetes, Adipositas und seelischen Problemen bei Kindern. Wir waren unserer Zeit häufig weit voraus und sind auch angeeckt. Mittlerweile hat man auch in der Verwaltung und in der Politik im In- und Ausland diese Themen aufgegriffen und nimmt uns ernst.
Wo genau sehen Sie die Erfolge Ihrer Projekte für Delmenhorst?
Delmenhorst gehört den Anwärtern der „Gesunden Städten“ an, einem Netzwerk von 70 vorwiegend Universitätsstädten in Deutschland. Dort wäre Delmenhorst als einzige Kleinstadt vertreten. Hier können wir von dem Austausch untereinander profitieren, gerade auch weil die Krankenkassen mit dabei sind. Auch als Gesundheitsregion wurde Delmenhorst anerkannt. Außerdem hat die Weltgesundheitsorganisation die Stadt als erste deutsche sichere Kommune anerkannt. Letztlich geht es immer darum, das natürliche, psychische, soziale und umweltbedingte Wohlbefinden der Menschen, die in Städten leben und arbeiten, zu verbessern.
Was bringen solche Auszeichnungen beziehungsweise Netzwerke einer Stadt ganz praktisch?
Sie sind ein tolles Stadtmarketing. Zukünftig wird das Thema Gesundheit auch bei der Stadtplanung und als Standortfaktor vor allem für junge Familien immer wichtiger werden. Außerdem profitiert Delmenhorst vier von Fördermitteln.
Wie geht es bei dem Jugendprojekt Delonet weiter?
Wir greifen die Ergebnisse der Delonet-Befragungen von 120 Jugendlichen auf und werden beispielsweise zusammen mit möglichst vielen Schülern der sechsten bis zwölften Klassen eine Art mobilen Stadtplan erstellen, auf dem die Heranwachsenden ihre Lieblingsorte eintragen, an denen sie sich gerne aufhalten oder bewegen. Dies wurde gerade in dieser Woche auf einer Tagung in Brüssel von vielen europäischen Forschern diskutiert. Momentan wird dafür gerade eine App entwickelt. Bei den bisher angesprochenen Schulen kam der Vorschlag sehr gut an.
Gibt es weitere Projekte, die Ihnen wichtig sind?
Aktuelle Forschungen zeigen eindrücklich, dass Einflüsse während der Schwangerschaft lebenslange Folgen für das Kind haben können. Das zeigt sich zum Beispiel bei der besorgniserregenden Zunahme von Übergewicht und Diabetes sowie die frühe Prägung der Stressresistenz. Unter dem Namen „Neun plus zwölf“ planen wir ein Projekt, bei dem die neun Monate der Schwangerschaft sowie das erste Lebensjahr des Neugeborenen in Hinblick auf Ernährung und Stressregulation betrachtet werden. In der kommenden Woche laden das Mutter-Kind-Zentrum und DiG zu diesem Thema alle Kinderärzte und Hebammen zu einem Symposium ein.
Wie kann sich Stress bei Kindern äußern?
Es gibt immer mehr Heranwachsende die etwa über Kopf- oder Bauchschmerzen klagen und als Folge im Schulunterricht ausfallen. Für die Beschwerden gibt es aber keine medizinischen sondern sozial-psychiatrische Gründe. Allein in Delmenhorst gibt es rund 500 sogenannte Schulverweigerer. Im Bereich Soziales müssen, wenn es um Überforderung oder Verwahrlosung in Familien geht, viel häufiger gesundheitliche Aspekte betrachtet werden. Hierfür benötigt man eine engere Vernetzung von Jugendamt, Kinderärzten und Einrichtungen wie den Kinderkrippen und -tagesstätten.
Zur Person: Dr. Johann Böhmann (66) ist Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Delmenhorst und Leiter des Delmenhorster Instituts für Gesundheitsförderung.