Etwas Sinnvolles sollte es sein, dass Gunther Molle seinen Schützlingen vor mehr als 50 Jahren im Martinshof beibringen wollte. „Die Ergebnisse ihrer ersten Arbeiten waren unproduktiv, auch wenn die Übung an sich sinnvoll war“, sagt der heute 88-Jährige.
Kein Angebot für Kinder mit geistiger Behinderung
Damals leitete er die sogenannten Anlernwerkstätten des Martinshofs. Dieser nahm junge Leute mit geistiger Behinderung auf, die die NS-Zeit überlebt hatten. „Für diese Kinder hatte es keinen Kindergarten oder eine Schule gegeben.
Sie wurden von ihren Eltern zu Hause versteckt, wenn sie noch lebten“, erinnert sich Molle an die Nachkriegszeit.
Familien zunächst ausfindig machen
Mithilfe des Gesundheitsamts konnten Molle und seine Kollegen die Familien ausfindig machen und das Angebot des Martinshofs vorstellen. „Damals nahm man es nicht so genau mit dem Datenschutz“, schmunzelt er.
Die Eltern seien allerdings zu Recht sehr vorsichtig gewesen.
„Nutzbringende“ Tätigkeit erlernen
Die jungen Leute wurden zu Hause abgeholt und sollten lernen, in einer Gruppe zusammen zu sein. „Außerdem sollten sie sogenannte nutzbringende Tätigkeiten lernen“, sagt Molle.
Anfangs war geplant, die Schüler kleine Montagearbeiten ausführen zu lassen. „Das waren ganz neue Herausforderungen. Viele waren nie in ihren manuellen Fähigkeiten gefördert worden“, sagt er.
Erst aus Katalogen ausgeschnibbelt
Und weil es mit den kleinen Schrauben nicht so recht klappen wollte, entschied Molle sich, die Schüler zunächst mit Scheren arbeiten zu lassen, um ihre Finger zu trainieren. „Ich versuchte Kataloge zu besorgen und sie schnibbelten alles aus. Die Schnipsel klebten wir auf oder sortierten sie je nach Abbildung“, erinnert er sich.
Doch auf Dauer fehlte das Erfolgserlebnis für die Teilnehmer. „Das war uns nicht genug. Wir wollten etwas mit Wertigkeit.“ Molle stieß auf die damals beliebte Funklotterie des Norddeutschen Rundfunks.
Briefmarken wurden zur ersten Wahl
Für diese konnte man mit Briefmarken vorgedruckte Karten ausfüllen, später, als sich das Porto erhöhte, schickten die Leute auch eigene Karten nach Hamburg. „Ich dachte mir, die Schüler könnten ja auch die Briefmarken ausschneiden“, so Molle weiter.
Kurzum fragte er beim NDR nach, was mit all den eingeschickten Postkarten geschehe.
Schnibbeln, sortieren, sammeln, tauschen
Schließlich erhielt er sie – mit geschwärztem Namensfeld, aber allen Marken darauf. „Das war eine wunderbare Arbeit für die Teilnehmer. Man konnte viel damit vereinen: Sie mussten die Marken erkennen, sauber abschneiden und sortieren.“
Tausende Briefmarken aus Hamburg und später aus Bremen erreichten die Werkstätten des Martinshofs.
Spenden an Bethel
Mit der Zeit fingen Molle und die Schüler an, die Marken auch zu sammeln, der „Club der Briefmarkenfreunde“ war geboren. Das war im Jahr 1967. Was man nicht selber gebrauchen konnte, wurde an Bethel gespendet – auch heute noch.
„Wir erhalten viele Briefmarkenspenden von ehemaligen Sammlern. Und die, die noch ausgeschnitten werden müssen, schneiden wir aus und sortieren sie.“ Die schönsten Marken aber wandern nicht in die eigenen Alben – sie kommen in die Päckchen mit Wohlfahrtsmarken des Martsclubs.
Ältestes inklusives Angebot
Als dieser schließlich 1973 gegründet wurde, gehörte Molle zu den Gründungsmitgliedern, nahm den „Club der Briefmarkenfreunde“ vom Martinshof mit und schuf so das erste inklusive Angebot des Martinsclubs im Freizeit- und Bildungsbereich.
Heute sind noch drei aktive Mitglieder regelmäßig auf den monatlichen Treffen, die für jedermann offen sind. Infos unter martinsclub.de