Die Patrizia Immobilien AG würde gerne den Rewe-Markt an der Georg-Gleistein-Straße abreißen und neu bauen, M-Projekt möchte einen Drogeriemarkt auf dem Gelände des ehemaligen Schlachthofs errichten und die ELB Grundstücksverwaltungsgesellschaft der Lürssen-Gruppe versucht seit Jahren, einen Markt an der Lindenstraße zu errichten. Alle diese Vorhaben kommen nicht voran – wegen 215 Seiten.
So viel Blatt Papier umfasst das Zentren- und Nahversorgungskonzept, das Bau- und Wirtschaftsressort 2009 vorgelegt haben und das von der Bürgerschaft beschlossen worden ist. Das Dokument wird derzeit überarbeitet. Eigentlich sollte dies 2018 abgeschlossen sein. Doch nun scheint es erst 2019 etwas zu werden: in der zweiten Jahreshälfte – nach der Bürgerschaftswahl.
Das Konzept soll Geschäfte im Zentrum schützen, in Vegesack jene zwischen Sedanplatz und Haven Höövt. Welche Auswirkungen das wiederum auf andere Märkte hat, hat der Ausschuss für Stadtentwicklung, Tourismus, Kultur und Wirtschaft in Vegesack in dieser Woche diskutiert.
„Lähmung für Neuausrichtungen“
Kurios wird es beim Rewe-Beispiel: Denn laut Ortsamtsleiter Heiko Dornstedt hat der Markt im bestehenden Konzept Bestandsschutz, aber Abriss und Neubau sind nicht möglich. „Mir fehlt das Verständnis dafür“, sagte Dornstedt. Das fehlt auch den Vertretern der Patrizia AG, die im Ausschuss zu Gast waren. Der Markt sei nicht mehr zeitgemäß, es tropft von der Decke.
Wenn nicht bald was passiert, könnte der Mieter in zwei, drei Jahren abspringen, fürchtet Eigentümervertreter Emanuel Kupper. Ein Architekt präsentierte seine Pläne: Wo jetzt der Markt steht, sollen Parkplätze entstehen. Das Rewe-Gebäude soll in den hinteren Bereich wandern und mit dem Neubau von derzeit etwa 1.700 auf 1.900 Quadratmeter wachsen.
Es lag an Stadtplaner Siegfried Hafke vom Bauamt Bremen-Nord das Zentren- und Nahversorgungskonzept zu verteidigen. Er freue sich, wenn Investoren in den Standort investieren wollen. Es sei aber eine schwierige Situation. Da das Konzept überarbeitet werde, gebe es „eine Lähmung für Neuausrichtungen “. Im Kern gehe es darum, das Zentrum Vegesack zu schützen.
Konzept regelmäßig anpassen
Hafke spricht von einem 600-Meter-Radius um das Zentrum, in dem keine Verbrauchermärkte zugelassen sind, vom bipolaren Zentrenkonzept und vom Bebauungsplan, der im Falle des Rewe-Beispiels keinen Verbrauchermarkt zulasse. Am Ende der Appell, viel Gewicht auf das große Ganze zu legen, Gespräche zu führen und auch auf die Innenentwicklung zu achten.
Die betroffenen Investoren und die Ausschussmitglieder kritisierten, dass das Konzept so starr ist. „Es geht gegen die Vernunft“, sagte Cord Degenhard (Bürger in Wut). „Der Handel bewegt sich schnell. Wie soll ein Konzept da nachziehen?“, fragte Hans Riskalla (CDU). Jürgen Hartwig (SPD) empfahl, das Konzept regelmäßig anzupassen: „Planung heißt nicht Beton, sondern jährlich überprüfen.“
Gutachter in den Beirat einladen
„Die Zentren befinden sich im Umbruch, das Konzept muss neu betrachtet werden“, sagte Karsten Nowak von der Handelskammer Bremen. Und er sagte auch: „Man muss sich an einzelnen Punkten vom Konzept lösen, wenn es logisch ist.“ Gleichzeitig brauche es aber auch Verbindlichkeit.
Er riet dem Beirat, die Gutachter, die das Konzept derzeit überarbeiten, in den Beirat einzuladen und die Baustellen in Vegesack vorzustellen. Olaf Mosel von M-Projekt brachte schließlich die Idee ein, die Hammersbecker und die Georg-Gleistein-Straße als Nahversorgungszentrum auszuweisen.
Beide Vorschläge gingen auch in den Beschluss des Ausschusses ein. In diesem kritisierten die Mitglieder zudem, dass das Bauressort nicht der Einladung zum Ausschuss gefolgt ist.
Schlimmer geht immer!
Zwei rechts, zwei links und das Vegesacker Zentrum wieder fallen lassen. Das ist das Strickmuster der Beschlüsse des Vegesacker Ausschusses für Stadtentwicklung auf Initiative der SPD.
Unter dem Hinweis auf vorgebliche Verbraucherinteressen ist die Vegesacker SPD wieder einmal hereingefallen auf die marktradikalen Vorstellungen von CDU und BiW.
Natürlich spricht nichts gegen eine über die Fläche möglichst gleichmäßig verteilte gute Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Gütern des täglichen Bedarfs. Wo hier noch bürokratische Hindernisse bestehen, sollten diese beseitigt werden.
Gerade aber das Beispiel REWE illustriert, dass es grundsätzlich für ein Zentrenkonzept und den Schutz des Mittelzentrums Vegesack und der Nebenzentren eine Berechtigung gibt.
Hier hat ein Investor sicherlich zu einem Schnäppchenpreis offenbar eine Schrottimmobilie erworben (Zitat: „Es regnet ständig rein!“), die zudem noch hinsichtlich des geltenden Baurechts nur stark eingeschränkt nutzbar ist. Dieser Investor fordert mit Unterstützung von CDU und BiW nun von der Politik und Verwaltung, dass ihm diese Immobilie mit neuem Baurecht vergoldet wird. Die Erfüllung dieser Forderung ist kein Gebot der Marktwirtschaft, einer sozialen Marktwirtschaft schon überhaupt nicht.
Die Pläne des Investors beschränken sich auch nicht darauf, zukünftig einem größeren und schöneren REWE ein Objekt anzubieten, sondern es sollen auf dem erweiterten Grundstück auch gleich zwei weitere Fachmärkte entstehen. Um die Forderungen des Investors noch zu überbieten, schlägt dann die SPD auch noch vor, ebenso wie dies vor Jahr und Tag mit dem Haven Höövt geschehen ist, dieses weitere Gegenzentrum zum Zentrum Vegesack mit diesem einheitlich zu behandeln und damit alle Branchenbeschränkungen aufzuheben. Die Konkurrenzsituation wird einfach wegdefiniert.
Dabei muss doch jedem klar sein, dass die Unterversorgung mit Lebensmitteln im Ortsteil Vegesack bereits unmittelbare Folge des Angebotes um den Aumunder Bahnhof ist. Für REWE gäbe übrigens ein wunderbar auch größenmäßig passendes Objekt gegenüber dem Bürgerhaus, das leer steht. Dass es in Vegesack keine passenden Objekte gibt, ist und bleibt eine Mär.
Der Beirat arbeitet weiter gegen das Vegesacker Zentrum. Den Fehlern der Vergangenheit, wie Haven Höövt und Müllerloch, wird immer noch eins draufgesetzt. Schlimmer geht immer!