An die Partie wird man sich dennoch noch lange zurückerinnern. Nicht wegen des Ergebnisses, sondern wegen des zwischenzeitlichen Bremer 1:1. Erzielt durch ein Eigentor von Stuttgarters Torwart Ron-Robert Zieler nach Einwurf eines Mitspielers (68.). Diese Szene hat jetzt schon ihren Platz in allen Saisonrückblicken sicher. Letztlich verloren die Bremer, die nach einer Gelb-Roten Karte für Milos Veljkovic ab der 36. Minute in Unterzahl agierten, durch Tore von Anastasios Donis (19.) und Gonzalo Castro (75.).
Die Bremer Chance hatte fast schon historischen Charakter. Mit einem Sieg über den VfB hätte sich der SV Werder erstmals seit Februar 2007 an die Spitze der Fußball-Bundesliga setzen können – jedenfalls für wenige Stunden, bis Borussia Dortmund im Samstagabendspiel bei Bayer Leverkusen wieder hätte vorbeiziehen können
Durch die Aussicht auf Rang eins zusätzlich angestachelt, begannen die Bremer in der Mercedes-Benz-Arena auch extrem schwungvoll. Yuya Osako kam bis zur neunten Minute zu einem Chancen-Hattrick, brachte den Ball aber nicht im Tor unter.
Werder ist die reifere Mannschaft
Aber auch ohne Torerfolg wurde klar: Werder war die bessere, die spielerisch reifere Mannschaft. Aber Werder hatte auch ein Problem. Und das war die Dreierkette. Trainer Florian Kohfeldt hatte eine Aufstellung gewählt, in der erstmals Philipp Bargfrede und Nuri Sahin standen.
Während Sahin im 3-1-4-2-System die Sechser-Position übernahm, rückte Bargfrede zwischen die beiden Innenverteidiger Milos Veljkovic und Niklas Moisander. Die Variante wurde zwar nicht zum ersten Mal so gespielt, doch in Stuttgart funktionierte sie nicht. Was sich in Minute zehn das erste Mal andeutete. Veljkovic ließ Daniel Didavi (nach drei Spielen Pause wegen Achillessehnenproblemen zurück in der Stuttgarter Startelf) entwischen und wusste sich nur mit einem Trikotzupfer zu helfen – Chance vereitelt, Gelb für Veljkovic.
Ähnliche Szene neun Minuten später: Nach Fehlpass Davy Klaassen am VfB-Strafraum spielte Didavi einen Traumpass auf Anastasios Donis, der Veljkovic im Rücken davonlief. Auch der aus dem Tor stürzende Jiri Pavlenka kam nicht an den Ball, Donis schob zur Stuttgarter Führung ein (19.).
Didavi überrumpelt die Dreierkette
Und Beispiel Nummer drei: Wieder wurde Veljkovic von Didavi überrumpelt, wieder zupfte der Bremer, wieder gab es Gelb. Diesmal mit Rot kombiniert – Platzverweis nach nur 36 Minuten, Werder fortan in Unterzahl. Und es ließ sich sagen: Was ein Sturm an die Spitze hätte werden können, entwickelte sich für Werder in eine völlig andere Richtung.
Wer weiß aber, was gewesen wäre, wenn Theodor Gebre Selassie noch vor der Ampelkarte für Veljkovic seine Top-Chance genutzt hätte? Nach Zuspiel von Klaassen verarbeitete der Tscheche den Ball aber unsauber – entsprechend missriet der Abschluss völlig (23.). Auch mit nur noch zehn Mann blieben die Bremer, die auf ein 4-3-2 umstellen mussten, das spielbestimmende Team. Immer wieder kombinierten sich die Gäste in den Stuttgarter Strafraum, kamen aber bis zur Pause zu keinen gefährlichen Abschlüssen mehr.
Was sich jedoch nur Sekunden nach Wiederbeginn änderte: Nach Kopfballverlängerung Osako hatte Max Kruse freie Bahn und zog aus 16 Metern fulminant ab – VfB-Keeper Ron-Robert Zieler riss die Fäuste hoch und verhinderte das 1:1. Für den VfB war diese frühe Chance der Gäste das Zeichen, die eigene vorsichtige Taktik auch in Halbzeit zwei nicht aufzugeben. Die bis dato noch sieglosen Schwaben warteten weiterhin auf Ballgewinne und schnelle Konter wie beim 1:0. Gebre Selassie musste nach 49 Minnuten in höchster Not vor Mario Gomez klären.
Pfostenknaller von Eggestein
Vollständig verhindern lassen sich Gegenangriffe in Rückstand und Unterzahl nie – was Werder wiederum im Angriff zu bieten hatte, war mehr als bemerkenswert. Siehe der Pfostenknaller von Maximilian Eggestein, der den Abschluss eines feinen Angriffs über Kruse und den starken Osako bildete (58.). Diese Laufwege, diese Kombinationen – das war richtig guter Fußball. Und die mutigen Bremer hätten den Ausgleich in diesem Moment mehr als verdient gehabt.
Um nicht als Verlierer vom Platz zu gehen, zog Coach Kohfeldt alle Register. Bargfrede und Augustinsson raus, Martin Harnik und Claudio Pizarro rein – zwei Angreifer für zwei Abwehrspieler. Mehr Risiko geht nicht.
Doch wie dann das 1:1 fiel, hatte weder etwas mit Pizarro oder Harnik zu tun, sondern einzig und allein mit Ron-Robert Zieler. Einen Einwurf von Borna Sosa ließ der VfB-Keeper über den rechten Fuß ins Tor kullern – so kurios, kurioser geht es nicht. Zumal: Hätte Zieler den Ball nicht berührt, hätte das Tor nicht gezählt. Denn die Regel besagt: Aus einem Einwurf kann nie direkt ein Tor resultieren. Hätte Zieler den Fuß weggezogen, hätte es Ecke für Werder gegeben.
Stuttgart konsterniert
Stuttgart war für Minuten konsterniert, Werder hätte das nutzen können, sollen, müssen. Und tatsächlich fehlten nur Zentimeter zur Führung. Pizarro nagelte den Ball aus 16 Metern an den Pfosten (72.).
Eigentlich sprach nun alles – Unterzahl hin oder her – für die Bremer. Doch plötzlich lagen sie wieder zurück. Nach einem Ballverlust von Nuri Sahin konterte Stuttgarter und der eingewechselte Gonzalo Castro vollendete zum 2:1 (75.).
Schock für Werder
So wechselte der Schock von den Stuttgartern zurück zu den Bremern. Die konnten sich bei Schlussmann Pavlenka bedanken, dass es wenig später nicht 1:3 oder gar 1:4 stand, der Tscheche blieb im 1-gegen-1 mit Nicolas Gonzalez zweimal der Sieger (81./85.).
So durfte Werder noch hoffen, konnte die erste Niederlage der Saison aber nicht mehr abwenden. Statt Platz eins zu erobern, fielen die Bremer auf Rang fünf zurück.