Ein Camcorder, zwei Ansteckmikrofone für das Smartphone, ein Stativ, Geduld und ein großes Interesse an Politik: Mit diesen Kompo- nenten betreibt Leonard Geßner seit August 2018 seinen Kanal „Politik der Generation Z“ auf der Video-Plattform Youtube. „Ich bin selbst überrascht, wie gut es läuft“, sagt der 14-jährige Schüler.
Am Anfang sei es schwierig gewesen, Zusagen von Politikern für sein Vorhaben zu bekommen. „Der häufigste Grund für die Absagen war anfangs, dass die Politiker keine Zeit hatten. Einmal bekam ich sogar die Antwort, dass ein Politiker in den nächsten sechs Monaten keine 20 Minuten Zeit für ein Interview hat.“
Osterholz-Scharmbecks Bürgermeister Torsten Rode und Lencke Steiner, Fraktionschefin der FDP und Spitzenkandidatin für die Bürgerschaftswahl, waren schließlich die ersten. „Ich hatte noch keine Interviews geführt, um zu zeigen, was ich vorhabe. Sie haben mir einen Vertrauensvorschuss gegeben“, sagt Leonard Geßner. Inzwischen hat er nur Politiker in Bremen wie Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) und CDU-Spitzenkandidat Carsten Meyer-Heder befragt.
„Ich möchte alle Parteien anhören“
Auch Bundespolitiker wie FDP-Chef Christian Lindner, Bundestagsabgeordneter Gregor Gysi (Linke), die Staatsministerin für Digitalisierung Dorothee Bär (CSU) und Katrin Göring-Eckardt, Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, interviewte er schon. Mit Abstand die höchste Aufmerksamkeit zog bisher das Gespräch mit Alice Weidel auf sich. Mehr als 72.000 Aufrufe verzeichnet das Video mit der AfD-Politikerin bisher.
„Ich möchte alle Parteien anhören. Jede Partei, die im Bundestag vertreten ist, gehört für mich dazu“, sagt Leonard über die Auswahl seiner Interviewpartner. Sein Youtube-Kanal ist für jeden offen, eine spezielle Zielgruppe gebe es nicht. „Ich denke, dass der Kanal gut für Leute geeignet ist, die ein bisschen politikinteressiert sind und gerne noch mehr erfahren möchten“, sagt der junge Oberneulander.
Schon frühes Interesse an Politik
Er stellt allen Politikern immer ähnliche Fragen, damit die Zuschauer besser Unterschiede und Gemeinsamkeiten ausmachen können, geht aber auch individuell auf sein Gegenüber ein. „Ganz am Anfang war ich überrascht, wie lang Politiker antworten“, erinnert sich Geßner.
Sind die Interviews geführt, geht die Arbeit am heimischen Schreibtisch weiter. Dort legt der 14-Jährige die getrennt aufgenommenen Audio- und Bild-Spuren übereinander. Anhand von Youtube-Tutorials hat er sich selbst beigebracht, wie man Videos schneidet und Übergänge gestaltet.
Interesse an Politik habe er schon früh gehabt, sagt Leonard Geßner. Er erinnert sich, wie er im Alter von zehn, elf Jahren mit seiner Familie am Frühstückstisch über die Lage Deutschlands und der Welt diskutiert hat. Inzwischen liest er online wie offline mehrere Tageszeitungen und Magazine, schaut sich Nachrichten im Fernsehen und Videos an.
Der kleine Bruder ist der größte Fan
Dass seine Generation häufig als politikverdrossen dargestellt wird, störe ihn zwar ein wenig. „Ich habe aber auch ein bisschen Verständnis für das Bild. Politik war für viele Jugendliche uninteressant, weil sie meinten, dass es sie nicht betrifft. Inzwischen hat sich aber einiges geändert“, sagt Geßner. Damit meint er die großen Fridays-for-Future-Demos und auch die Proteste gegen Teile der EU-Urheberrechtsreform wie zum Beispiel den Upload-Filter. „Das zeigt, dass es ein politisches Interesse bei Jugendlichen gibt, besonders wenn es um etwas geht, was sie direkt betrifft“, findet Geßner.
Dabei hat er auch einen anderen Bereich im Kopf: „Das betrifft aber zum Beispiel auch das Thema Rente. Es wird jetzt entschieden, wie unsere eigene Rente aussieht.“ Nur eines der Themen, auf die Leonard neben Bildung, Digitalisierung, Integration und Pflege auch in seinen Interviews eingeht.
„Bei meiner Familie und meinen Freunden kommt der Kanal super an. Mein kleiner Bruder ist mein größter Fan“, sagt Leonard Geßner. Auch an seiner Schule in Oberneuland hat sich sein Hobby herumgesprochen. „Viele Schüler und manche Lehrer schauen sich die Videos an. Eines haben wir auch schon im Unterricht geguckt.“
Vizekanzler Olaf Scholz ist im Juni an der Reihe
Fast 20 Interviews sind inzwischen online. Die Ferien hat Leonard genutzt, um weitere Politiker zu interviewen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CSU) und Philipp Amthor (CDU), der jüngste Abgeordnete im Bundestag, standen auf seiner Liste. Im Juli hat er einen Termin mit Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD).
Bis dahin will er sich aber erst einmal einem anderen Projekt widmen. Als nächstes wagt sich Leonard Geßner an eine Live-Veranstaltung. Der 14-Jährige wird am 10. Mai seine eigens organisierte Talkshow zur Bürgerschaftswahl in Bremen moderieren. Im Vorfeld hat er die Parteien angeschrieben und eingeladen. Die Spitzenkandidaten Carsten Sieling, Carsten Meyer-Heder und Kristina Vogt machen mit.
Vorbereitung auf Podiumsdiskussion
Die FDP schickt Thore Schäck, die Grünen Björn Fecker. Sie alle werden ab 18.30 Uhr in der Turnhalle des Ökumenischen Gymnasiums Rede und Antwort stehen. „Zur Vorbereitung lese ich die Wahlprogramme, Zeitung und schaue, was die Politiker in den sozialen Medien schreiben“, sagt Geßner. Damit es voll wird, hat Leonard gemeinsam mit seinem kleinem Bruder Flyer und Poster verteilt. Jeder, der sich angesprochen fühlt, egal ob Jugendliche oder Erwachsener, ist willkommen.
Und dann gibt es da noch ein anderes Projekt, mit dem sich Leonard Geßner gerade beschäftigt. Details dazu will er aber noch nicht verraten.